Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
sie kaum die richtigen sein konnten. Diese egoistischen Raucher saugten ihren Honig eben nicht ausschließlich aus den angebotenen weiblichen Wärmequellen. Auch der jetzige Mann ihrer Wahl, der den langen Weg vom Heroin zum Alsterwasser geschafft hatte, galt in Ellas Kosmos schlichtweg als Alkoholiker. Aus Abwehr im Wissen um ihre eigene Labilität? Aus zu großer Offenheit gegenüber Zeitgeist und Gesundheitspresse, die einer nichtrauchenden Nichtrinkerin den rundum verzichtbereiten Helden der Nüchternheit als Partner anempfahl? Wie sollte es nach derart tragikomischen Erkenntnissen weitergehen? Die interne Aufklärung eines Paares vollzog sich naturgemäß als schleichender Prozeß, in dem die frühen, vorschnellen Einschätzungen als nicht zutreffend revidiert werden mußten, um zu den nächsten, vorläufig als realitätsnäher erachteten Beurteilungen zu kommen. Wer also war ich in dem Zusammenhang, und wer war sie? Ein suchtgefährdeter Einzelgänger, dessen Bewußtsein zu stark von der Vergangenheit beherrscht wurde? Eine von ungebremsten Emotionen getriebene Frau, bei der sich nur die Frage stellte, in welche Art Drama sie einen Mann hineinziehen würde?
Auf Leiser war über die Jahre insofern Verlaß, als ich ihn wie in unseren aktiven Freundschaftszeiten jederzeit anrufen konnte, wenn es in meinen Liebesbeziehungen prekäre Phasen oder mir sonstwie unverständliche Entwicklungen gab. Eine schöne Tradition, die wir beide in stundenlangen Telefonaten nach meinem Eindruck auch zu genießen wußten – und das nicht kurzschlüssig wie Männer in der Umkleide, sondern in Form eines ernsthaften Bemühens, im Rahmen unserer lebenslangen Praxis der erotischen Deutungen weitere Klarheiten zu gewinnen. Er lebte seit mehr als zwanzig Jahren mit ein und derselben Partnerin, seit etwa einem Jahrzehnt zusätzlich auch mit ein und derselben Geliebten, so daß er in einem wie auch immer getakteten Pendelverkehr sein wahres Ich zwischen zwei unterschiedlichen Frauen suchen und sich dabei die Illusion souveräner Männlichkeit erhalten konnte. Wie mein Großvater Ende des 19 . Jahrhunderts, lautete mein einziger Kommentar dazu – ein wenig neidisch wegen des équilibré mental, das eine Ehefrau im ländlichen Bereich und eine Geliebte in der City auf Dauer bieten würde, wobei alle Beteiligten, wie Leiser erklärte, Bescheid wüßten und das Dreieck akzeptierten. Dennoch redete er selbst mit mir darüber nur verdeckt: Morgen bin ich in der Stadt, sagte er am Telefon, wenn du willst, können wir uns später treffen. Erst nach Jahren begriff ich, daß die Stadt die Geliebte meinte, von der er direkt zu unseren Verabredungen kam, weichgeknetet und doch mit stabilisiertem Ego. Weichgeknetet durch die Hände und Füße einer mir nichtssagenden, blonden Mittvierzigerin im Businesskostüm, die ich nur einmal gesehen hatte, bei einem seiner öffentlichen Auftritte. Daß es sich um die Geliebte handelte, verriet eine von mir beobachtete, wortlose Geste – auf dem Weg zum Podium kniff er der in der letzten Reihe sitzenden Frau kurz mit Daumen und Zeigefinger ins Nackenfleisch, während ich von gegenüber ihren reglos einverstandenen Gesichtsausdruck betrachtete.
Beschreib mir deine neue Freundin doch mal genauer, hatte Leiser am Telefon gesagt, nachdem Ella von mir öfter erwähnt worden war … Also beschrieb ich sie ihm: das Alter? – eine Mittvierzigerin, vom Typ? – reizvoll und schwierig, eine, wie gesagt, Blondine … eine Frau, die mich an eine große, Jahrzehnte zurückliegende Liebe erinnert, die belehrende, aber auch enttäuschende Liebe einer Frau, die ihrerseits an die damalige Schauspielerin Sydney Rome erinnerte … Wie die neue Freundin denn nun aussehen würde, wollte Leiser wissen … Ja, wie gesagt, blond mit einer heute etwas unzeitgemäßen Hochsteckfrisur, einem hübschen, stimmigen Gesicht, oft aufgehellt von virtuellem Optimismus, die Genvariante impulsiv, aggressiv und nomadisch … Der Busen eher klein, was sie bedauert, weil sie mich für ’nen Afficionado von Großbrüsten hält, was ich bejahen oder wegen einiger, mich mit hermaphroditischen Flachbrüsten extrem begeisternder Frauen meiner Vergangenheit genausogut verneinen könnte, weshalb ich dazu lieber gar nichts sage.
Und, fragte Leiser – was weiter?
Nun ja, auf den ersten Blick eine Lady, die anfangs zwei Wochen lang auch mittags im Abendkleid zum Rendezvous kam – und bei längerem Hinschauen eine Eisschwimmerin, die Kostüm und
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