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Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire

Titel: Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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unbedingt neu, was dann sehr laut aus ihr herauskam: Die Männer machen, was sie wollen, selbst dieser Kleinstadtcasanova glaubt, sich das leisten zu können, ein moralisches Wrack, ein Lügner und Betrüger, verantwortungslos egoistisch …
    Ich hatte noch versucht, den Furor zu stoppen: Auch dieser Mann lebt sein Mysterium, wer weiß, außerdem zieht es jeden mal hinaus aufs Meer, und jeden zieht es wieder zurück in den Schoß der Familie …
    Du kennst dich aus im Abenteurerleben …
    Als fest Liierter bin ich monogam, ansonsten gilt das Recht der freien Prärie …
    Die Männer sind alle Verbrecher, sagte Ella, ihr Herz ist ein finsteres Loch … wie bei deinen Spezies aus dem Fler … der ständig notgeil nach karitativen little helpern gierende Caféhaus-Therapeut, und der fiese Neokon, der sich junge Polinnen kauft … die Monatsfickkarte für zweihundert Euro, die locker hingelegte Miete für die Bruchbude, in der das Mädchen wohnt … und dann noch dein guter Freund, dein berühmter Humanist Leiser mit seinen beiden Weibern … die angeblich Bescheid wissen über ihren flotten Dreier, die diese Situation angeblich akzeptieren, die sie früher oder später zerstören dürfte – wie kann der sich für einen großen Schriftsteller halten, wo er doch ein so kleiner Mann ist, der sich gleich an zwei Frauen festklammern muß …
     
    Das geht dich nichts an, sagte ich noch … Doch die Einschläge kamen bereits näher, als ich aufgestanden war, um die Küche zu verlassen.
     
    Und du bist nicht weit weg von denen, im Gegenteil …
    Ella, halt mal die Luft an – es gibt Mängel, mit denen mußt du leben …
    Das will ich nicht, da geh ich ein wie ’ne Primel, du denkst nur an dich, immer nur an dich …
     
    Ich vertrete meine Interessen …
     
    Was sind denn deine Interessen, hatte Ella hinter mir her gerufen, du willst doch immer nur so weitermachen, du weichst keinen Millimeter von deinem eigenen Leben ab … und siehst nicht, daß ich unglücklich bin … du tust nix, du kümmerst dich nicht, du nimmst dir nur die Rosinen, das Sahnehäubchen … wie alle Männer.
     
    Ich lauschte in Richtung Küche – nichts, gar nichts. Ella konnte Stille auch ganz gut, sie korrelierte mit der Heftigkeit der vorangegangenen Ausbrüche, manchmal auch einen Tick zu lang, beides. Sie hatte sich wieder verausgabt, um mich einmal mehr in Haftung zu nehmen für diesen Uraltscheiß von Untreue und für alles andere, was von irgendeinem Mann irgendwann und irgendwo getan oder auch nur geplant worden war. Der Dreh- und Angelpunkt ihrer Argumentation blieb dabei stets derselbe: Einzig die Frauen können die Welt noch retten, nur die Frauen können sie bewahren vor der Zerstörung durch Technik, Krieg, Geldgier und zunehmende Kälte und Gewalt der Männer – paradoxerweise soll es jedoch keine Unterschiede der Geschlechter mehr geben, sondern nur noch Gleichheit, Verhandlung auf Augenhöhe, solidarisch abgestimmtes Wohlbehagen zwischen Mann und Frau … Und da ich persönlich noch nicht soweit war und Ella die emotionale Intensität nicht bieten konnte, wurde in unserem Zusammensein halt alles über den unsäglichen Trouble abgewickelt …
     
    Gut möglich, daß dieser stille, kaum erträgliche Psychoclinch bereits eine Stunde andauerte, als auf dem Flur Schritte und Rascheln an der Garderobe hörbar wurden – offenbar raffte Ella eilig ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg. Kein demonstrativ energischer, gar lauter Abgang, keine hart ins Holz der Diele gestochenen Absätze … Sie ging einfach, zügig, glaubwürdig und ohne aggressiven Bonus für mich, den Zuhörer, der Momente später noch immer auf seinem Bett lag, so mißverstanden wie nie zuvor.
     
    Sexuelle Ausbeutung ist das, hatte Ella beim Verlassen der Wohnung gesagt, bevor Sekunden später die Tür leise ins Schloß fiel.
     

V ielleicht sollte auch ich endlich hier wegziehen, dachte ich auf dem Weg ins Café Fler – ein Gedanke, der mir fast täglich beim ersten Gang durchs Viertel kam, stets aufs neue enttäuscht von seiner über Nacht vergessenen Tristesse; einer laut Mietspiegel durchschnittlichen Wohnlage in Nordostschöneberg. An solchen Tagen kuckte ich auf die Gegend, als hätte sie sich erst kürzlich verändert und nicht, wie in Wahrheit, bereits seit etlichen Jahren … Die unmittelbare Nachbarschaft war mittlerweile etwa zur Hälfte von arabisch-türkischen Familien belebt und in jüngerer Zeit auch zum bevorzugten Wohngebiet

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