Gutgeschriebene Verluste - Roman mémoire
ruppigen Bar oder mental animiert aus dem Kino heimkehrte – am besten nach Filmen, die einen ins Unterbewußte schickten, so wie einst Buñuel, Bergman oder Lynch, oder dieser Mexikaner mit seinem, von uns vor ein paar Tagen gesehenen » 23 Gramm«, dem angenommenen Gewicht der Seele … . Bloß nicht schwer werden jetzt, sagte ich mir nach einer Viertelstunde des Wartens … Der Weg von der Küche ins Bett war für Ella offenbar lang geworden.
Nun komm doch.
Sie rührte sich nicht.
Der Abend hatte eigentlich harmonisch begonnen. Meine Spaghetti mit großem Salat entstanden in Alleinregie, nur hin und wieder kam es zu kurzen Kompetenz-Rangeleien an den Arbeitsplatten – bei noch nicht deutlich gewordenem Gesprächsthema. Ella erzählte etwas von ihrer Familie … von einem Jahrzehnte zurückliegenden, angeblichen Selbstmord einer Tante, den sie zum Mord von verwandter Männerhand und damit zu einem von ihr bestsellermäßig zu verarbeitenden Fall erhob. Sie müsse das recherchieren, ihr fehlten da nur noch ein paar Details … mir dagegen fehlte die Schlußpointe für den nächsten Wochenkommentar, ›Hartz vier und die Künstler‹ … Die seit langem beste Idee für meinen Radiokommentar, wie ich fand, diese Entdeckung, daß Klaviere, einst erstandene Erstausgaben oder soeben selbstgeschaffene Gemälde von den Behörden als nach Marktwert gutgeschriebenes Vermögen und geldwerter Besitz angerechnet würden – die armen Möchtegern-Hartz-Vier-Maler malten sich demnach mit jedem neuen, unverkäuflich in der Atelierecke stehenden Bild auf dem Papier reicher. Bei der benötigten Stütze gingen sie folglich leer aus; ein Gesetz also, das auch vor der Kunst nicht standhielt und zum Schwarzmalen einlud.
Ella – neuerdings selbst vom Jobverlust bedroht – hatte an der Stelle laut aufgelacht und zum erwartbaren Rundumschlag ausgeholt: Diese Gesellschaft ist pervers, egal, wo du hinkuckst. Mein Einwand, sie müsse schon ein wenig unterscheiden und auch mal in die diversen Bundestagsausschußsitzungsprotokolle kucken wurde noch schriller auflachend mit ihrem Standardsatz zurückgewiesen: Alle Politiker sind Schweine, alle Protokolle Schweinkram, basta. Ein enormer Mangel an Differenzierungswillen, dachte ich, mein Kardinalproblem mit ihr – zehn, zwanzig Jahre Frühstück und Abendbrot mit einem Menschen dieser reduzierten Sichtweisen, wie sollte das gehen? Schon an diesem Punkt war Ella bedenklich nah an der Verstimmung. Vielleicht empfand sie meinen Hinweis auf die Bundestagsausschußprotokolle wieder mal als zu belehrend, zu besserwisserisch, achtundsechzigerisch. Und außerdem, sagte sie mit einer durch den verrauchten Luftraum wischenden Armbewegung, dürfte keiner denken, halbe Nächte hier in dieser Küche herumzusitzen wäre das Tollste überhaupt – so wenig toll wie das stockdunkle Schlafzimmer morgens, denn ich brauch’s hell und will um halb sieben aufstehen und arbeiten … Danach fing sie sich noch einmal, kehrte trällernd von der Toilette zurück und hatte – bei einer kurzen Umarmung im Türrahmen – mit aufmunterndem Lächeln ihren Venushügel mehrmals tänzerisch gegen meine Hüfte gestupst.
Nu komm ins Bett, Ella, sagte ich in Richtung Küche.
Aus welchem Anlaß ihre Stimmung dann umgeschlagen war, an welchem kritischen Punkt der Übergang in die Feindseligkeiten begann, hatte ich nicht genau mitbekommen … Vermutlich wurde Ellas Unmut durch die gerade im Familienklatsch erfahrenen Neuigkeiten über ihre Lieblingscousine ausgelöst beziehungsweise durch die Neuigkeiten über deren Mann – eine Ehebruchsgeschichte aus dem Oldenburger Land, einem, wie ich unnötigerweise einschob, bekanntlich heißem Pflaster. In der Familie herrschte großes Entsetzen, erzählte Ella, nach über zwanzig Jahren Ehe wäre herausgekommen, daß der Gatte die Cousine seit etwa zwanzig Jahren mit einer anderen Frau betrogen hätte … und daß sich nun die gesamte Verwandtschaft von ihm betrogen fühlte, weil er die ganze Zeit über in aller Augen ein guter Ehemann und liebevoller Vater der beiden Kinder gewesen wäre …
Aber dann ist doch alles bestens, hatte ich an dieser Stelle gesagt – was wollen die Leute denn mehr, guter Ehemann, wunderbarer Vater …
Von dem Moment an wurde Ella dramatisch – die nächste Stufe ihrer Empörung war erreicht, mit einer von gleich auf jetzt einsetzenden emotionalen Schubumkehr, durch die alles wie gehabt nach hinten losging.
Nicht
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