Guy Lacroix: Auf der Jagd nach dem Rosenkranzmörder (Clockwork Cologne) (German Edition)
zu aufgebracht gewesen, um es bewusst zu registrieren. Aber da war etwas. Er verschränkte die Arme und schloss die Augen.
Er hörte wieder Haveners Nase brechen, spürte das Blut auf seinen Knöcheln, fühlte die Wut in sich aufsteigen wie Gewitterwolken. Nein. Er musste ruhig bleiben. Konzentriere dich, Lacroix. »Die Küchentür«, flüsterte er. »Sie stand offen.«
»Herr Kommissär?«
Mit einer Handbewegung brachte er den Assistenten zum Schweigen. Die Küchentür war offen gewesen, aber bevor er eingetreten war, hatte er eine Tür zuschlagen gehört. Es musste also noch ein Zimmer geben.
Er stand auf und klopfte die Wände ab. An einer Stelle klang die Wand dumpf und hohl. »Schieben Sie das Regal zur Seite«, befahl er.
Kimura stemmte sich dagegen, aber das Regal blieb an seinem Platz. »Es muss festgeschraubt sein«, sagte er und tastete die Bretter ab. Es klickte, und das Regal schwang in den Raum, samt Rückwand und Tapete.
Kimura ging in die Knie. »Herr Kommissär, schnell!«
Guy starrte in das Innere der kleinen Kammer, die hinter dem Regal zum Vorschein gekommen war. In die Ecke gedrückt, die Arme um die dünnen Beine geschlungen, in den Händen eine kleine Stoffpuppe, saß ein Kind – ein etwa zehnjähriger Junge. Guy fluchte. »Kimura, rufen Sie einen Arzt!«
Guy hockte vor der dunklen Kammer. Der Junge bewegte sich nicht, starrte ins Leere, die Finger um die Puppe geklammert, als hielte er sich daran fest.
Kimura kam zurück und ging neben Lacroix in die Knie. »Hilfe ist unterwegs«, sagte er leise.
Molter kam herein und blieb unschlüssig vor dem Bett stehen. »Haben Sie etwas aus der Frau herausbringen können?«, fragte Guy ungeduldig.
»Wir haben einen Verdächtigen. Die Wäschereibesitzerin hat gestern Abend einen Mann hereingelassen, der behauptete, der Bruder des Toten zu sein. Laut ihrer Beschreibung ein feiner Herr mit guten Manieren. Groß, kräftig, dunkler Mantel und Hut. Backenbart. Er hat ihr gleich Angst eingejagt, sagt sie.«
Guy fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. Wie schnell sich die Eindrücke von Zeugen doch änderten, wenn eine Gewalttat im Spiel war. Gestern Abend wäre sie mit ihm ausgegangen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Er bemerkte, dass Molter ihn anstarrte und starrte zurück, bis sein Assistent den Blick senkte.
»Wir bestellen Fräulein Loni heute Nachmittag aufs Revier und lassen eine Zeichnung des Verdächtigen anfertigen.«
»Fräulein Loni? Sie kennen die Wäschereibesitzerin?«
»Molter. Ich habe Augen im Kopf und benutze sie auch. Der Name stand auf dem Schild über dem Fenster.«
Molter nickte ergeben und sackte noch ein wenig mehr in sich zusammen.
Kimura hatte sich im Schneidersitz vor der Kammer niedergelassen und redete leise auf das Kind ein.
Guy ließ seine Blicke über die Leiche wandern. Irgendjemand war hier gewesen, nachdem er gestern gegangen war, und hatte Havener den Rest gegeben. Aber wie? Genügten die Verbrennungen, um jemanden zu töten? Er beugte sich über den Toten, lockerte den Kragen.
»Sehen Sie«, sagte er. »Er wurde erdrosselt.«
Molter pustete den Atem aus. »Wer würde so etwas … Gottloses Pack!«
»Ein Rosenkranz?« Kimura klang amüsiert.
»Mit einem Ave Maria direkt zur Hölle«, bemerkte Guy trocken und Molter wandte sich angewidert ab.
Der Streifenpolizist schlug geräuschvoll die Hacken zusammen und salutierte, dann trat eine Frau ein. Guy fuhr herum. »Ich darf doch bitten? Das ist ein Tatort, Sie haben hier nichts zu suchen!«
»Sie sind bestimmt Kommissär Lacroix.« Die Frau kam unbeeindruckt auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Kühn«, sagte sie und lächelte, den Toten auf dem Bett würdigte sie mit keinem Blick. Guy ignorierte die ihm entgegengestreckte Hand und Frau Kühn zog ihre Kostümjacke glatt und drückte ihre überdimensionale Handtasche an die Brust. »Sie können sich und mir das Leben schwer machen, Herr Kommissär«, fuhr sie fort, »aber besser wäre es, Sie finden sich mit meiner Anwesenheit ab und kooperieren.«
Mit zusammengekniffenen Augen musterte Guy die Frau. Das Haar streng frisiert, ein etwas zu breiter Mund in einem breiten, nichtssagenden Gesicht. Abgetretene, aber blankgeputzte Schuhe. Eine graue Maus in einem grauen Kostüm. Am Kragen trug sie das goldene Abzeichen, das die Beamten der DMG kennzeichnete. Guy biss die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzte. Wie, zum Teufel, hatte die DMG so schnell von dem Mord erfahren?
Frau Kühn
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