Gwydion 01 - Der Weg nach Camelot
kleinen Gruppe das Bogenschießen beizubringen. Die wenigsten hatten die Kraft, überhaupt die Sehne zu spannen. Und die, die es schafften, verfehlten das Ziel um mehrere Schritte.
Wahrlich, es stand schlimm um Camelot.
Nachdem Gwyn zwei Tage mit sich gerungen hatte, fand er endlich den Mut, sich dem Unvermeidlichen zu stellen.
Als er an die Kerkertür klopfte, öffnete die Wache die kleine Luke. „Was willst du hier?“, fragte der Mann ihn grob. „Du hast hier nichts verloren.“
„Ich will mit Sir Urfin sprechen.“
„Der empfängt heute keinen Besuch. Und jetzt verschwinde.“
„Mein Name ist Gwyn Griflet. Ich bin sein Knappe.“
Der Wächter knurrte mürrisch. „Das ist etwas anderes. Merlin hat mir deinen Besuch schon angekündigt.“ Ein Riegel wurde beiseite geschoben und die Tür öffnete sich knarzend. „Los, rein mit dir!“
Die Wache holte einen Schemel und stellte ihn vor Urfins Tür. „Wenn du dich mit dem Kerl unterhalten willst, dann von hier aus.“
Gwyn, der nicht wollte, dass ein drittes Paar Ohren lauschte, schüttelte den Kopf. „Ich will hineingelassen werden.“
„Das ist gegen die Vorschriften.“
Doch Gwyn verschränkte die Arme und rührte sich nicht vom Fleck. Schließlich warf der Mann entnervt die Arme in die Luft. „Bitte. Wie der Herr es will. Mir soll es doch recht sein.“ Er nahm den Schlüssel vom Haken und öffnete das Schloss.
Urfin saß in der hintersten Ecke an die Wand gelehnt und starrte Gwyn an. „Hallo Gwyn. Deinen Besuch hätte ich am wenigsten erwartet.“
Gwyn erschrak, als er in das Gesicht seines ehemaligen Herrn blickte. Das linke Auge war zugeschwollen, während die Stirn eine dick verkrustete Platzwunde zierte. Urfin linker Arm hing in einer Schlinge.
„Entschuldige, wenn ich nicht aufstehe, um dich zu begrüßen. Aber im Moment bin ich ziemlich froh, dass ich hier sitze.“
„Wer war das?“, fragte Gwyn kühl.
„Gesindel. Einfaches Volk, das endlich einmal die Gelegenheit hatte, einem hochnäsigen und tief gefallenen Ritter eine anständige Tracht Prügel zu verpassen. Die Wunden werden heilen.“ Er lächelte Gwyn mit seinem entstellten Gesicht an. „Wie geht es dir? Du siehst ein wenig blass aus.“
„Merlin hat gesagt, ich solle mit Euch reden“, antwortete Gwyn nur. „Ich will Camelot verlassen.“
„Meinetwegen?“ Sir Urfin hob die Braue des gesunden Auges. „Tu es nicht.“
„Warum?“, fragte Gwyn. „Sagt mir einen Grund, weshalb ich bleiben sollte.“
„Weil Camelot dein Traum ist.“
„Camelot ist tot“, schrie Gwyn. „Und Ihr habt es auf dem Gewissen.“
Urfin seufzte. „Man kann eine Idee nicht töten. Noch nicht einmal ich vermag das. Aber ich ahne, was dein Problem ist. Du hast die Geschichten gehört, die man sich von den Rittern der Tafelrunde erzählt. Edelmütige Männer, die voller Mut und Stolz in den Kampf ziehen, um das Böse zu besiegen. Doch nun hast du sie gesehen und musst feststellen, dass sie alle nur Menschen sind, die auch ihre dunklen Seiten haben. Dagonet, der über den Verlust seiner Frau wahnsinnig geworden ist. Kay, der es nie verwinden konnte, dass Artur und nicht er König wurde. Gawain, der mittlerweile dem Wein mehr zuspricht, als ihm gut tut. Und selbst die holde Guinevra liebt einen anderen Mann und nicht den, mit dem sie verheiratet ist. Ich könnte noch endlos fortfahren…“
„Verschont mich damit.“
„Doch es gibt etwas, was sie alle eint: der Wunsch, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Wir alle haben dasselbe Ziel, nur unterscheiden wir uns in der Wahl der Mittel. Camelot ist eine Insel des Lichts in einem Meer der Dunkelheit. Wenn dieses Licht verlöscht, und es flackert schon, brechen wahrlich finstere Zeiten an.“
„Und Ihr? Welche Rolle spielt Ihr?“
Sir Urfin seufzte. „Das habe ich mich auch gefragt, mein Junge. Sehr lange schon. Und ich hatte eine Antwort gefunden, die falsch war. Weißt du, eine meine größten Untugenden ist die Ungeduld. Ich habe gesehen, wie in all den Jahren kostbare Zeit vergeudet wurde. Manchmal erschien mir Camelot wie ein träger alter Bär, der Jahre braucht, um sich am Sack zu kratzen. All diese Versammlungen der Tafelrunde, in denen alte Männer ihre Eitelkeiten zur Schau stellten, sind mir immer mehr zuwider geworden. Ich habe mich gefragt, wo der starke Mann bleibt, der endlich all dem Reden ein Ende bereitet und zur Tat schreitet. Nun, irgendwann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich dieser Mann werden
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