Gwydion 01 - Der Weg nach Camelot
anderen Rittern nicht passt, sie dürfen sich unter keinen Umständen auf eine offene Feldschlacht einlassen. Einige von ihnen müssen mit einem Trupp leicht bewaffneter Soldaten die Römerstraßen kontrollieren. Mordred wird zwar nicht so dumm sein, sie zu benutzen, aber wir sollten auf Nummer sicher gehen.“
Gwyn zog einen Bauern vor, um seiner Dame den Weg freizumachen. „Wieso sollte er die Straßen meiden? Dort wird er am schnellsten vorankommen!“
„Und sich am ehesten bemerkbar machen. Nachdem wir in Tintagel seine Armee entdeckt haben, ist es für Mordred sowieso schon schwer genug, einen Überraschungsangriff zu starten. Außerdem könnten wir ihn dort für seinen Geschmack viel zu früh angreifen. Nein, er wird die Deckung der Wälder nutzen, um dann zuzuschlagen. Doch das wird ihm auch nicht gut bekommen. Kennst du Tacitus?“
Gwyn schüttelte den Kopf.
„Es wird wirklich höchste Zeit, dass du lesen lernst. Tacitus hat einen Bericht über eine Schlacht verfasst, die vor vierhundertfünfzig Jahren stattfand. Damals hat ein römischer Feldherr namens Varus versucht, die Germanen zu besiegen. Deren Anführer, sein Name war Arminius, war aber so gerissen, dass er die gut ausgerüsteten Legionäre immer wieder hinterrücks angriff, um sich dann schnell zurückzuziehen. In etwa wie ein Bienenschwarm, der einen Bären attackiert. Das hat die römischen Soldaten so zermürbt, dass sie ihre Schlachtordnung aufgaben und dem Feind in die Sümpfe folgten, wo sie dann ihr Ende fanden.“ Urfin warf einen Blick auf das Brett. „Bist du sicher, dass du diesen Zug machen willst?“
„Ja“, sagte Gwyn.
Statt eine Antwort zu geben, schlug Urfin die schwarze Dame mit seinem Läufer. Gwyn stöhnte.
„Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die Taktik der Nadelstiche. Das widerspricht zwar der ritterlichen Kampfkunst vollkommen, doch Mordred soll schon auf dem Weg hierher merken, dass mit uns nicht gut Kirschen essen ist. Kleine Kampftrupps sollen in den Wäldern lauern und Mordreds Heer immer wieder durch schnelle Angriffe schwächen. Wenn sein Sachsenheer dann den Wald verlässt, darf er keine Gelegenheit erhalten, sich hier festzusetzen. Eine kleine Armee soll sich als Köder bereithalten. Sobald sich die Sachsen ihr nähern, werden durch Feuerpfeile versteckte Pechgräben in Brand gesetzt. Ist die Verwirrung dann komplett, kann die eigentliche Armee ausrücken und den Feind in die Flucht schlagen.“ Urfin grinste Gwyn an. „Schachmatt übrigens.“
Gwyn eilte umgehend zu Merlin, der sich Urfins Ratschläge anhörte und mit ihnen sofort zu den Rittern eilte, um sie dort als seine eigenen Überlegungen vorzuschlagen. Nur Artur war in Merlins Plan eingeweiht.
Nun endlich hatte Gwyn Zeit, selber ein wenig zur Ruhe zu kommen. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen.
Überall saßen die erschöpften Familien an Lagerfeuern beisammen und kochten über großen Kesseln ihre dünnen Suppen. Es herrschte eine gedrückte, fast hoffnungslose Stimmung. In der Zwischenzeit hatten immer fantastischere Nachrichten die Runde gemacht. Man sprach davon, dass Mordred mit dem Teufel im Bunde sei und mit einem hunderttausend Mann starken Heer auf Camelot vorrücke. Niemand stemmte sich gegen das Gerücht, das in Wellen durch das Lager ging.
Als Gwyn den Knappensaal betrat, lagen die anderen schon in ihren Betten. Es herrschte eine Grabesstille. Alle waren wach, doch niemand sprach ein Wort. Einzig der kleine Hewitt schluchzte leise vor sich hin.
Im ersten Moment war Gwyn nicht klar, warum die Stimmung so katastrophal war. Doch dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Sie waren Knappen und als solche mussten sie mit ihren Rittern in die Schlacht ziehen. Das war kein Spiel mehr, sondern blutiger Ernst! Und nur weil Sir Urfin im Kerker saß und Merlin ihn mit einem besonderen Auftrag betraut hatte, würde er wahrscheinlich länger leben als sie, wenn auch nicht viel. Plötzlich hatte er das Gefühl, nicht mehr Teil dieser verschworenen Gemeinschaft zu sein. Er setzte sich vorsichtig auf sein Bett und entkleidete sich.
„Rowan?“, flüsterte er.
„Hm?“, kam es leise zurück.
„Es tut mir Leid, dass ich dich neulich so schlecht behandelt habe.“
„Ja“, flüsterte Rowan. „Schlaf jetzt.“
Er wusste nicht, was er weiter sagen sollte, also schwieg er. Doch wie alle anderen sollte er erst gegen Morgengrauen Schlaf finden.
Der folgende Tag war noch trostloser als der vorangegangene. Es hatte in der Nacht
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