Gwydion 02 - Die Macht des Grals
ihm zurzeit besser geht, ist sein Leben noch nicht gerettet.“
„Können wir mit ihm sprechen?“, fragte Sir Dagonet.
„Ausgeschlossen“, erwiderte Merlin bestimmt. „Lancelot benötigt Ruhe. Deswegen wird er bis zu seiner vollständigen Genesung bei mir im Turm bleiben.“
„Also müssen wir warten“, sagte Artur, bevor irgendjemand widersprechen konnte. „Und hoffen, dass Merlin ein Gegenmittel findet.“
Merlin verneigte sich lächelnd, als habe er diese Äußerung als direkten Auftrag des Königs verstanden. „Ich werde Euch nicht enttäuschen.“
„Sehr gut“, sagte Artur und stand auf. „Damit ist die Versammlung beendet.“ Er zog seinen Mantel enger um die Schultern und verließ die Halle der Tafelrunde durch eine Seitentür, ohne sich noch einmal umzublicken.
Gwyn hatte während der Zusammenkunft versucht, das unbewegte Gesicht des Königs zu entschlüsseln, hatte aber keinerlei Hinweise auf die wahren Gedanken und Absichten Arturs entdecken können. Wenn die Rückkehr Lancelots ein Schock für ihn war, so hatte er es gut verborgen.
Es standen nur noch wenige der Ritter zusammen, um die Neuigkeiten zu besprechen, als Merlin neben ihn trat.
„Die Zeit des Zögerns und Zauderns ist vorbei. Ich muss eine klare Antwort von dir haben: Wirst du deinen Dienst als Knappe Camelots wieder aufnehmen?“
Gwyn drehte sich überrascht um. In der Tat, dieser Frage war er bisher ausgewichen. Er war zurückgekehrt, weil er kein Zuhause mehr hatte, doch erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er für diese Rückkehr einen Preis bezahlen musste. Camelot war kein Ort, an dem man sich einfach zurückziehen konnte. Es gab Regeln. Jeder hatte die ihm zugewiesene Aufgabe zu erfüllen, und von Gwyn erwartete man, dass er sich zum Ritter ausbilden ließ. Nun, eigentlich war er ja ursprünglich genau deswegen nach Camelot gekommen, nur hatten sich die Dinge anders entwickelt, als er es erwartet hatte. Er zögerte.
„Ich warte immer noch auf deine Antwort“, sagte Merlin mit einer Spur von Ungeduld in seiner Stimme.
„Ja, ich werde meinen Dienst wieder aufnehmen“, antwortete Gwyn schließlich und sah Merlin an. „Obwohl ich das Gefühl habe, dass mir sowieso keine andere Wahl bleibt.“
Merlin lächelte. „Manchmal erkennt man in einem wachen Augenblick den vorgezeichneten Weg. Dieser Moment ist nur kurz, aber er kann einen mehr erschrecken als der Anblick eines riesigen Feindesheers.“
„Wohin wird mich dieses Schicksal führen?“, fragte Gwyn unsicher. „Ich habe in meinen Träumen das Ende des Drachen gesehen, doch wie wird es für mich weitergehen?“
„Ich kann es dir nicht sagen“, sagte Merlin und tiefes Mitgefühl schwang in seiner Stimme mit.
„Weil Ihr es nicht wisst?“
Merlin schaute Gwyn lange an. „Lass uns von erfreulicheren Dingen sprechen“, sagte er schließlich. „Morgen hast du einen harten Tag vor dir, denn neben der üblichen Ausbildung wirst du am Abend zu mir in den Turm kommen. Ich denke nämlich, dass es Zeit wird, dass du Lesen und Schreiben lernst.“
Gwyns Augen begannen vor Freude zu leuchten, sodass Merlin sich offenbar gezwungen sah, seine Begeisterung zu dämpfen.
„Es ist ein langwieriges Unterfangen. Du brauchst dafür viel Geduld und Ausdauer. Und nun schlage ich vor, dass du schlafen gehst.“
Wiedersehen mit Freunden
Es war kurz vor Mitternacht, als Gwyn hinaus in den Hof trat. Bis auf die Wachen, die auf den Wehrgängen auf und ab liefen, war er allein. Die Luft war kühl und vom kleinen Wald wehte eine würzige Brise herüber, die nach sattem Leben roch.
Gwyn musste lächeln, als er sich auf den Weg zum Schlafsaal der Knappen machte. Merlin war wirklich ein schlauer Fuchs. Er hatte zunächst nicht sein Schüler werden wollen und eigentlich war er ja immer noch ein Knappe, wenn auch einer ohne Herrn. Doch mit dem Angebot, Lesen und Schreiben zu lernen, hatte ihn der Ratgeber des Königs überrumpelt. Gwyn hatte keine andere Wahl gehabt, er konnte diesen Unterricht nicht ausschlagen. Lesen und Schreiben war ein Privileg der Herrschenden, das ihm als einfachem Bauernjungen auf immer verwehrt geblieben wäre.
Gwyn erinnerte sich an Sir Urfin und die Ilias, aus der sein früherer Herr den Knappen vorgelesen hatte. Gwyn hatte damals geahnt, dass die Welt viel größer war als der kleine Landstrich, in dem er aufgewachsen war, sogar größer als Britannien.
Gwyn gähnte herzhaft und freute sich schon auf den morgigen Tag, als plötzlich
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