Gwydion 02 - Die Macht des Grals
reden würde.“
„Warum eigentlich?“
„Weil er in mir nicht seinen Sohn, sondern den zukünftigen König sieht“, erwiderte Rowan. „Er ist der Letzte, der von meinen Schwierigkeiten erfahren darf, denn Aileen ist für ihn der Schlüssel zum Thron! Nein, ich dachte, du könntest vielleicht einmal mit Aileen reden. Sie hält sehr große Stücke auf dich, nicht erst seit ihrer Befreiung.“
„Wenn wir wieder zurück sind, werde ich sehen, was ich tun kann“, sagte Gwyn zögernd. „Obwohl ich immer noch glaube, dass du mit dem Falschen darüber sprichst.“
„Jetzt stell dein Licht nicht so unter den Scheffel“, sagte Rowan ungeduldig. „Ich habe nie viel von Standesdingen gehalten, denn erst in der Not trennen sich die echten von den falschen Freunden. Du magst zwar von einfacher Herkunft sein, aber du trägst dein Herz auf dem rechten Fleck, bist nicht dumm und lässt dich noch nicht einmal von meinem Vater einschüchtern. Ich bin stolz darauf, dass ich dein Freund bin.“
Gwyn schluckte. „Also gut, ich werde sehen, was ich tun kann. Aber nur, wenn du mich nicht mehr wegen Katlyn aufziehst.“
Zu Gwyns Überraschung war Rowan sichtlich erleichtert. „Danke. Und ich verspreche, dich von jetzt an nicht mehr zu ärgern.“ Er schnalzte mit der Zunge und sein Pferd fiel in einen leichten Galopp.
Gwyn zog die Stirn kraus. Er fragte sich, ob ihn Rowan noch immer ins Vertrauen ziehen würde, wenn er erst einmal von der Prophezeiung erfahren würde. Gwyn musste wieder an seine Mutter Valeria denken, die er nie kennen gelernt hatte. Wovor war sie, die adelige Römerin, geflohen? Und was hatte sie mit der Zukunft Camelots zu tun? Es war eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er, das Einhorn, von Humbert nach Camelot in die Höhle des Drachen gebracht worden war. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass der Zufall in seinem Leben eine geringere Rolle spielte, als er bisher geglaubt hatte.
Und das machte ihn ziemlich unruhig.
Bei Einbruch der Dämmerung erreichten sie über die alte Römerstraße die Siedlung Aquae Sulis am Fluss Avon.
Zum ersten Mal in seinem Leben sah Gwyn eine echte römische Stadt, oder zumindest das, was von ihr übrig geblieben war. Die Befestigungsmauer war teilweise eingerissen und wo sie noch scheinbar unbeschädigt stand, wucherten Büsche und Sträucher aus den Ritzen des Mauerwerks. Als sie das Südtor passierten, erhob sich vor ihnen der erstaunlich gut erhaltene Bau eines römischen Tempels. Gwyn verschlug es bei all der marmornen Pracht die Sprache.
„So beeindruckend Camelot auch sein mag, aber mit der Baukunst der Römer kann es selbst Artur nicht aufnehmen“, sagte Rowan.
Eine riesige Treppe führte hinauf zu einem Bau, dessen Front von vier Säulen und einem reich geschmückten Fries verziert war. Der Tempel wurde von zwei kleineren Gebäuden flankiert, die augenscheinlich jüngeren Datums waren, aber dennoch dieselbe Baufälligkeit aufwiesen. Der Tempel stand inmitten eines Platzes, der von kleineren Gebäuden umgeben war. Gwyn spürte, wie sich tief in seinem Innern bei diesem Anblick eine Traurigkeit breit machte.
„Ja, diese Stadt war einmal wunderschön“, hörten sie eine Stimme hinter sich. Überrascht wendeten sie ihre Pferde.
„Die Pracht von Aquae Sulis ist längst vergangen, obwohl wir uns Mühe geben, dem Verfall Einhalt zu gebieten. Manchmal bin ich froh, dass ich dieses Elend nicht mit eigenen Augen sehen muss.“
Vor ihnen stand ein alter Mann, der sich mit seinen knotigen Händen auf einen langen Stab stützte. Er trug eine Tracht, wie sie Gwyn noch nie gesehen hatte, und auch der Klang in seiner Stimme deutete darauf hin, dass er weder Kelte noch Sachse war. Gwyn versuchte dem Mann in die Augen zu schauen, stellte aber erschrocken fest, dass die Pupillen milchig trüb waren.
„Verzeiht, wenn wir uns nicht vorgestellt haben. Mein Name ist Rowan und das ist mein Freund Gwyn.“
„Ah, wohlerzogene junge Burschen“, kicherte der Alte. „Trifft man heutzutage nicht mehr allzu oft. Die Sachsen, die vor einigen Monaten hier durchzogen, hatten entschieden schlechtere Manieren. Mein Name ist Decimus Aemilius und vor dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung hättet ihr mich wohl als General bezeichnet.“
„Ihr seid ein Römer?“, fragte Gwyn überrascht.
Der alte Mann lächelte. „Obwohl wir mittlerweile so wenige in diesem Land sind, dass wir für die Jüngeren von euch schon einen gewissen
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