Gwydion 02 - Die Macht des Grals
ergriff Gwyn die dargebotene Hand.
„Nun, wie ich vermute, war es Cundries Gegenmittel, das Euch wieder ins Reich der Lebenden holte. Eigentlich habe ich nur Rowan begleitet, die Zutaten zu besorgen.“
„Rowan?“, fragte Lancelot verwirrt und schaute Merlin an. „Sir Kays Sohn?“
Merlin nickte.
„Als ich Camelot verließ, war er ein kleines Kind, das noch nicht einmal richtig sprechen konnte“, sagte Lancelot und schaute bedrückt in die Dunkelheit. „Ich kann mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnen, dass so viele Jahre meines Lebens einfach verloren sind.“ Seine Stimme zitterte und Gwyn merkte, dass er um Fassung rang.
„Nun, vielleicht sind sie es ja nicht“, sagte Merlin und setzte sich auf die Bettkante. „Ich bin zuversichtlich, dass die Erinnerung an sie wiederkehrt.“
„Meint Ihr wirklich?“, fragte Lancelot mit einem Anflug kindlicher Hoffnung.
„Nun, ich habe in meinem langen Leben schon erstaunlichere Dinge gesehen“, sagte Merlin und tätschelte Lancelots Hand.
Arturs erster Ritter zwang sich zu einem Lächeln. „Merlin hat mir wahre Wunderdinge über dich berichtet, Gwydion. Du sollst Camelot sogar vor der Zerstörung durch die Sachsen gerettet haben.“
Merlin machte ein Zeichen mit der Hand. Katlyn verneigte sich und huschte durch die Tür, die hinauf zur Bibliothek führte.
Gwyn, dem das nicht entgangen war, wunderte sich, dass Merlin das Mädchen wegschickte. Er räusperte sich. „Nein, das habe ich nicht. Viele tapfere Männer und Frauen haben ihr Leben in dieser Schlacht gelassen. Wenn jemandem diese Ehre gebührt, dann ihnen.“
Lancelot nickte anerkennend. „Ein bescheidener Kerl. Er unterscheidet sich wohltuend von den andern Knappen, diesen Prinzchen und Edelknaben, die nicht begreifen, dass auch sie zum Dienen geboren wurden. Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft sind die höchsten ritterlichen Tugenden.“
„Das mag vielleicht daran liegen, dass ich früher ein Schweinehirte war“, sagte Gwyn, der lieber jetzt mit der Wahrheit herausrückte, bevor Sir Lancelot sie von jemand anderem zu hören bekam.
„Er macht Witze“, sagte Lancelot zu Merlin, der jedoch den Kopf schüttelte.
„Nein, macht er nicht.“
„Wie hast du es dann geschafft, in Camelot aufgenommen zu werden?“, fragte Lancelot verwundert.
Gwyn musste unwillkürlich grinsen, als er an die Geschichte dachte. „Prinzessin Aileen hatte sich entschlossen, nur in Begleitung ihrer Zofe durch den Wald vor den Toren Camelots zu streifen. Dabei ist sie auf eine Rotte hungriger Wildschweine gestoßen. Ich habe die Tiere mit einem Trick davon überzeugen können, dass sie sich am besten woanders ihre Mahlzeit suchen.“
„Du hast keine Waffe benutzt?“, fragte Lancelot erstaunt.
Gwyn schüttelte den Kopf. „Auch wenn ich stark und erfahren genug gewesen wäre, um ein Schwert zu führen, hätte ein direkter Angriff den sicheren Tod bedeutet.“
Lancelot verfiel für einen Moment in tiefes Grübeln. „Stimmt es, dass du mich nach Camelot gebracht und mir so das Leben gerettet hast?“
„Es ist wahr, ich habe Euch nach Camelot gebracht. Aber gerettet hat Euch Merlin.“
„Wo hast du mich gefunden?“
„Am Ufer eines Sees, nicht weit vom Bodmin Moor.“
Lancelot lächelte schief. „Nun, beruhigend zu wissen, dass ich selbst in einem solchen Zustand wie eine Brieftaube den Weg nach Hause gefunden habe.“
Gwyn riss staunend die Augen auf. „Also ist es wahr. Die Dame vom See ist Eure Mutter!“
„Ja, das ist sie.“
„Aber… warum ist sie dann um so vieles jünger als Ihr?“
Lancelot hob an die Frage zu beantworten, doch dann stutzte er. „Du bist ihr begegnet?“
Gwyn nickte. „Ich wäre dort beinahe ertrunken. Sie hat mich gerettet.“
Lancelot kniff die Augen zusammen. „Und du bist sicher, dass du wirklich nichts Besonderes bist? Normalen Menschen zeigt sich Evienne in der Regel nicht.“
Gwyn errötete wie ein Junge, der beim Apfelstehlen erwischt worden war, und wollte etwas sagen, als ihm Merlin ins Wort fiel.
„Ich glaube, wir sollten Lancelot ein wenig ruhen lassen. Der Tag war anstrengend genug für ihn. Und außerdem wartet Katlyn mit ihrem Unterricht auf dich, Gwydion.“
Gwyn schaute den alten Mann überrascht an, der ihm mit einer nachdrücklichen Handbewegung den Weg zur rückwärtigen Tür wies. Er stand auf, verneigte sich kurz und stieg dann die Stufen zur Bibliothek hinauf.
Als er an den Regalreihen vorbeieilte, wäre er beinahe mit Katlyn
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