Gwydion 02 - Die Macht des Grals
Sein Atem ging schwer und der Blick war glasig. Nur seiner übermenschlichen Reaktionsfähigkeit hatte er es zu verdanken, dass ihn die Schläge nicht sofort niederstreckten.
Es war eine Niederlage auf Raten. Sir Kay, der sich während des ganzen Kampfes nicht ein einziges Mal ernsthaft verteidigen musste, trieb die Demütigung auf die Spitze und ließ seinen Schild fallen. Dann griff er sein Schwert mit beiden Händen und schlug wie besessen auf den am Boden kauernden Gegner ein, der diesen Attacken so gut wie nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Als dessen Schild endgültig in Stücke geschlagen war, packte Sir Kay Lancelots Schwertarm und versetzte ihm mit dem Knauf seiner Waffe einen Hieb gegen den Kopf, dass das Blut spritzte. Mit einem Schrei des Entsetzens sprang Guinevra auf.
„Gebt Ihr auf, Lancelot?“, fragte Sir Kay schwer atmend und zielte mit der Spitze seines Schwerts auf die Kehle seines Widersachers.
„Niemals“, keuchte Lancelot.
„Nun gut. Ihr sollt nicht glauben, dass ich ein unfairer Gegner bin. Ich warte darauf, bis Ihr Euch erholt habt. Aber lasst Euch nicht zu viel Zeit, das Publikum wird schon ungeduldig.“
Die Zuschauer stießen einen Ruf der Überraschung aus, als Sir Kay sich umdrehte, sein Schwert wegsteckte und in aller Ruhe zu einem Stuhl ging, um sich zu setzen. Er winkte seinen Sohn heran, der ihm einen Becher Wasser reichte.
Gwyn lief, so schnell er konnte, zu seinem Herrn, der noch immer wie betäubt im Staub lag.
„Ich flehe Euch an“, flüsterte er. „Gebt auf.“
„Niemals“, keuchte Lancelot. „Ich werde diesen Platz nicht als Verlierer verlassen! Eher sterbe ich!“
„Ich glaube, Sir Kay würde Euch nur zu gerne diesen Wunsch erfüllen.“ Gwyn beugte sich zu Lancelot hinab, um ihm das Blut aus dem Gesicht zu wischen. Dabei rutschte sein Medaillon unter dem Hemd hervor.
Lancelot starrte seinen Knappen an, als würde er ihn zum ersten Mal in seiner wahren Gestalt sehen. „Woher hast du dieses Schmuckstück?“, fragte er atemlos und griff nach dem Medaillon. Gwyn wollte es schnell wieder zurückstecken, doch Lancelot ließ es nicht los. „Ich frage dich noch einmal: Woher hast du dieses Amulett?“
„Von meiner Mutter“, antwortete Gwyn. „Und jetzt lasst es los.“
In Lancelots Gesicht trat ein Ausdruck des entfernten Wiedererkennens, als suchte er in den Tiefen seines Verstandes eine verschüttete Erinnerung.
Gwyn zögerte einen Moment. Es war kaum ein Gefühl, weniger als eine Ahnung, die ihn das Medaillon abstreifen ließ.
„Nehmt es“, sagte er leise. „Vielleicht wird es Euch helfen. Aber steckt es weg, damit es niemand sieht.“ Als er das Erbstück seiner Mutter aus der Hand gab, hatte er plötzlich das Gefühl, wieder ein schwächlicher und unbedeutender Schweinehirte aus dem hintersten Winkel Cornwalls zu sein.
Lancelot, der immer noch verwirrt schien, legte das Medaillon an und versteckte es unter seinem Kettenhemd. Schließlich nahm er wieder sein Schwert in die Hand. „Nun denn, schauen wir einmal, ob dieser Zauber wirkt.“
Gwyn zog seinen Herrn wieder auf die Beine und augenblicklich brandete der Jubel wieder auf. Er wünschte Lancelot viel Glück und lief schnell wieder hinüber zu seinem Platz beim Zelt.
Als Sir Kay sah, dass sein Gegner wieder auf den Beinen war, grinste er überheblich und stand auf. „Ihr seid ein Mann ganz nach meinem Geschmack und kämpft bis zum bitteren Ende.“ Er verneigte sich und holte zu einem gewaltigen Schlag aus, den Lancelot aber mit seinem Schwert parierte. Beide kämpften nun ohne Schilde. Die Gefahr, dass sich jemand schwer verletzte, war somit besonders hoch, aber trotzdem ließen beide Kämpfer keine Vorsicht walten. Ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit hieben und stachen sie aufeinander ein, doch war es nun kein einseitiger Kampf mehr. Je länger die beiden aufeinander eindroschen, desto mehr schien Lancelot an Ausdauer und Gewandtheit zu gewinnen, während Sir Kay immer mehr ermüdete. Zuerst reagierte der Hofmeister nur ungläubig auf diese Wendung, dann sah Gwyn tatsächlich Angst in seinen Augen. Sir Kay erkannte, dass er in ernsthaften Schwierigkeiten steckte.
Denn Lancelot, angetrieben von einer unbekannten Kraft, gewann immer mehr an Stärke, wuchs über sich hinaus und trieb den Hofmeister mit seiner stürmischen Art immer weiter in die Defensive. Im Gegensatz zu Sir Kay waren seine Attacken nicht blind und unüberlegt. Lancelot schien jede Bewegung seines Gegners
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