Gwydion 03 - König Arturs Verrat
Und zwischen ihnen erkannte Gwyn ein springendes Einhorn, über dem ein Kelch zu schweben schien!
Das war er, das musste er sein! Obwohl das Bild unvollendet war, ahnte er, dass sich ihm hier ein Blick auf seine Zukunft bot. Doch wer hatte es gemalt? Und vor allen Dingen, womit? Noch bevor seine ausgestreckten Finger die Wand berührten, wurde es ihm klar.
Es war Blut!
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Erst jetzt bemerkte er die Gestalt, die zusammengekauert in einer dunklen Ecke saß. Gwyn stieß einen Schrei aus, trat einen Schritt zurück und stolperte über einen Schemel, der zerbrochen am Boden lag. Die Frau hob den Kopf und wandte ihn in seine Richtung. Schwarze, verfilzte Haare fielen in ihr Gesicht. Hinter den Strähnen sah er zwei aufgerissene Augen, die ihn voller Angst anstarrten.
Sie hob abwehrend eine schmutzige Hand und stieß einen verzweifelten, schrillen Laut aus, der Gwyn einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Hastig rutschte er noch ein Stück zurück.
Der Schrei ebbte zu einem klagenden Wimmern ab, das in Gwyns Ohren nicht minder schrecklich war. Dann verstummte die Gestalt und sackte wieder in sich zusammen, um mit dem Oberkörper vor- und zurückzuwippen.
Wie versteinert starrte Gwyn sie an. Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen. „Wer seid Ihr?“, fragte er mit rauer Stimme, doch die Frau schien ihn nicht zu hören.
Vorsichtig stand er auf und machte einen Schritt auf sie zu. Auch wenn dieses Wesen mehr tot als lebendig war, war kein Geist, sondern ein gequälter, zutiefst bemitleidenswerter Mensch!
Gwyn stellte die Lampe auf den Boden und kroch näher heran. Der Gestank, der von der Frau ausging, war unbeschreiblich. Gwyn überwand seinen Ekel und strich ihr die Haare aus dem schmutzigen Gesicht. Ein Paar weit aufgerissene Augen starrten ihn an und der ausgetrocknete Mund bebte, als suchte er nach Worten, die ihm schon lange abhanden gekommen waren.
„Wer seid Ihr?“, wiederholte er seine Frage, doch er bekam keine Antwort. Er legte die Hand auf seine Brust. „Ich heiße Gwydion“, sagte er lächelnd.
Die Frau öffnete den Mund, brachte aber außer einem leisen Krächzen kein Wort heraus. Gwyn schaute sich um und fand einen mit Wasser gefüllten Krug. Er roch daran. Es schien frisch zu sein.
„Trinkt.“
Gwyn half ihr, den Krug an die Lippen zu führen und sie nahm einige Schlucke.
„Geht es besser?“, fragte er, aber sie antwortete noch immer nicht. Die Panik in ihren Augen war jetzt einem ängstlichen Misstrauen gewichen.
Wer war diese Frau? Toms Worte kamen ihm wieder in den Sinn. Und mit einem Mal begriff er.
„Ihr seid Sir Gores Gemahlin, die Herrin von Chulmleigh!“, entfuhr es ihm. „Deswegen hat nie jemand euer Grab gesehen! Weil Ihr noch lebt und nicht von einem Fieber dahingerafft worden seid!“
Die Frau zuckte erschrocken zusammen und umklammerte ihre Beine.
Plötzlich erfasste Gwyn das ganze Martyrium dieser Frau. „Vierzehn Jahre“, wisperte er atemlos. „Seit vierzehn Jahren seid Ihr hier oben eingesperrt!“ All die Tage und Nächte in hoffnungsloser Einsamkeit, die nur durch die Mahlzeiten unterbrochen wurden, die Mara ihr des Nachts brachte, damit sie niemand beobachten konnte. „Warum?“, fragte er sie. „Warum tut Sir Gore Euch das an?“
Die Frau presste die Lippen zusammen und schwieg.
„Ich bin gekommen, um Euch zu helfen!“
Sie wandte den Kopf ab und begann leise zu summen.
„Ihr könnt mir vertrauen“, sagte Gwyn und folgte einer plötzlichen Eingebung, als er hinzufügte: „Ich bin Valerias Sohn.“
Das Summen erstarb. Die Frau drehte sich langsam zu ihm um und musterte den Jungen mit einer Mischung aus Hoffnung und Argwohn. Plötzlich bewegten sich ihre rissigen Lippen. „Beweise es“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme.
Gwyn öffnete sein Hemd und holte das Medaillon hervor. Ihr Atem ging schneller, als Gwyn die Kette über den Kopf zog und es ihr gab. Sie starrte es lange an. Dann senkte sie den Kopf und begann leise zu weinen.
„Habt Ihr sie gekannt?“, fragte Gwyn.
Die Frau verbarg das Gesicht in ihren Händen und nickte. Sie schien nach Worten zu ringen und es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder gefasst hatte.
„Mein Name ist Agrippina“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Und fügte dann leise hinzu: „Valeria war meine Schwester.“
Es dauerte einen Moment, bis Gwyn begriff, was diese Frau soeben zu ihm gesagt hatte. Sie war die Schwester seiner Mutter! Er hatte das
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