Gwydion 03 - König Arturs Verrat
hier entdeckte, steckte er in ziemlichen Schwierigkeiten. Sir Gore würde sie mit Schimpf und Schande davonjagen. Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was ihm von Sir Lancelot blühen würde.
Der erste Stock war leer. Kein Möbelstück, keine Kiste oder irgendetwas von Interesse war zu sehen. Nur Staub und Spinnweben schwebten in der Luft. Gwyn hielt die Lampe hoch und entdeckte auf der anderen Seite des Raumes eine steile Holztreppe.
Je weiter Gwyn hinaufstieg, desto strenger wurde der Geruch, der ihm in die Nase stieg. Anfangs hatte er an verdorbene Milch erinnert, doch nun wurde er schärfer, unangenehmer. Im dritten Stock war er fast unerträglich.
Der Turm war leer. Nichts trieb sich hier herum. Kein Geist, kein Ungeheuer. Doch was hatte Mara dann hier oben verloren?
Plötzlich hörte er über sich ein Scharren. Gwyn zuckte zusammen und schaute nach oben. In der Decke war eine Luke eingelassen, die durch einen Drehbalken gesichert war.
Jemand – oder etwas – war dort oben!
Gwyn entdeckte eine Leiter, die unter einem der Fenster auf dem Boden lag. Er stellte die Lampe ab. Obwohl das Holz vom Alter grau und rissig war, schienen die Sprossen stabil genug zu sein, um sein Gewicht zu tragen. Er hob sie auf und lehnte sie gegen einen der schweren Deckenbalken, sodass er zu der Luke hinaufklettern konnte. Dann nahm er die Lampe und machte sich an den Aufstieg.
Es war eine recht wackelige Angelegenheit. Mit jedem Schritt wippte und federte die Leiter, als könnte sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Er war fast oben angelangt, als er wieder das Scharren hörte. Kein Zweifel, das Geräusch war direkt über ihm. Allem Anschein nach war der Turm doch nicht so verlassen, wie er zunächst gedacht hatte.
Gwyn hängte die Lampe an einen Nagel, der in den Balken eingeschlagen war. Endlich hatte er wieder beide Hände frei. Er drehte den Riegel so, dass sich die Luke öffnen ließ. Mit einem lauten Quietschen schlug sie um und polterte auf die Dielen. Eine dichte Staubwolke wirbelte auf und Gwyn musste husten.
Der Übelkeit erregende Gestank, der ihm entgegenschlug, erinnerte ihn an Camelots Latrine und war nun so bestialisch, dass er würgen musste. Jeder Muskel seines Körpers wehrte sich dagegen, durch dieses Loch zu steigen. Mit aller Macht unterdrückte er seine lähmende Angst. Er nahm die Lampe vom Haken, stellte sie über sich auf die Kante und zog sich hinauf.
Ein Schwarm dicker, grün schillernder Fliegen erhob sich brummend und umschwirrte das Licht, dessen Schein auf eine Szene fiel, die so erschreckend war, dass Gwyn nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken konnte. Wenn es einen Ort auf Erden gab, der einem Vorhof zur Hölle glich, so befand er sich hier oben in diesem Turm.
Die Wände mussten einst weiß gekalkt gewesen sein, doch war davon kaum noch etwas zu sehen, so gründlich waren sie über und über mit schrecklichen Szenen übermalt worden, die im Licht der flackernden Lampe zu geisterhaftem Leben erwachten.
Die Bilder zeigten ein gewaltiges Schlachtfeld in solch einem realistischen Detailreichtum, dass Gwyn für einen kurzen Moment die Augen schließen musste, nur um sie kurz darauf wieder zu öffnen, so sehr fesselte ihn die Darstellung von Tod und Verwüstung. Er erkannte sofort, was es darstellte: die Schlacht aller Schlachten. Der Untergang Camelots. Die Erfüllung der Prophezeiung.
Da war Camelot mit seinen drei Türmen, von denen zwei eingestürzt waren, während der mittlere lichterloh brannte. Die Mauern wiesen tiefe Breschen auf, durch die der Feind nun hereinstürmte und ein schreckliches Blutbad anrichtete. Gwyn erkannte die Ritter, die zur Verteidigung zurückgeblieben waren, an ihren Wappen.
Sie waren alle tot.
Gawain lag von einem halben Dutzend Pfeilen niedergestreckt am Boden, seine Brüder Gareth und Gaheris baumelten an einem Galgen wie zwei gewöhnliche Verbrecher.
Im Wald in der Ebene vor Camelot wehrte sich Sir Pelleus, der aus zahlreichen tödlichen Wunden blutete, verzweifelt gegen eine Übermacht dunkel gekleideter Männer, die ihn mit ihren gezückten Schwertern umzingelt hatten.
Parcival, von allen verlassen und im brennenden Cadbury gefangen, kniete vor einem Mann, der seinen Schopf ergriffen hatte und das Schwert zum tödlichen Streich erhob.
Als Gwyn mit zitternder Hand die Lampe höher hielt, um den Rest des Gemäldes in Augenschein zu nehmen, spürte er, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Auf einer Brücke standen zwei Drachen einander gegenüber.
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