Gwydion 03 - König Arturs Verrat
stimmte Merlin zu. „Und nun bricht sie auseinander. Die letzten Tage von Camelot sind angebrochen und alle treibt die Angst um, dass nichts mehr von uns bleiben wird. Du wirst es wahrscheinlich nicht verstehen. In deinem Alter denkt man noch nicht an den Tod. Aber eines Tages, das verspreche ich dir, wird er seinen Schatten auch auf dich werfen. Er wird dich fragen: Gwydion Desert, Erbe des Gralshüters, was hast du aus deinem Leben gemacht? Und wenn du dann keine passende Antwort parat hast, wird dich die Verzweiflung packen. Also stelle dir die Frage so früh wie möglich, damit du die Antwort kennst, wenn deine Stunde gekommen ist.“
Die Tür ging auf und Katlyn betrat den Raum. Unter ihren Arm hatte sie einige saubere Lumpen geklemmt, während sie mit beiden Händen einen schweren hölzernen Eimer mit dampfendem Wasser trug. Sie stellte ihn ab und tauchte einen der Lappen hinein, um damit vorsichtig Gwyns Gesicht zu waschen. Das dumpfe Pochen in seinem Kopf war mittlerweile einem diffusen Schwindelgefühl gewichen. Es fiel ihm schwer, den Blick längere Zeit auf einen Punkt zu richten. Er spürte, wie seine Augäpfel unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen rutschten, wodurch er alles doppelt sah. Merlin nahm Gwyns Gesicht in beide Hände und schaute ihn prüfend an.
„Ist dir schwindelig?“
Gwyn nickte. „Und übel.“
Merlin seufzte. Katlyn, die nun Sir Kay wusch, hielt mit ihrer Arbeit inne. Ihr Blick auf Gwyn war kritisch, aber auch voller Sorge.
„Du wirst die nächsten Tage das Bett hüten. Katlyn wird dich zum Schlafsaal bringen.“
„Aber meine Pflichten…“, versuchte Gwyn zaghaft zu widersprechen.
„Können warten.“ Merlin lachte trocken. „Es gibt sowieso keine. Oder hat etwa in den letzten Tagen Unterricht stattgefunden?“
Gwyn schüttelte den Kopf. „Nur Sir Tristan hat versucht, seine Lektionen im Bogenschießen abzuhalten.“
„Und wie viele Knappen haben daran teilgenommen?“
„Nur Cecil, Orlando und ich“, antwortete Gwyn leise.
„Darf ich Gwyn einige Bücher geben, damit er die Zeit sinnvoll nutzen kann?“, fragte Katlyn.
„Nein, der Junge braucht absolute Ruhe.“ Merlin stand auf und nahm ihr den feuchten Lappen aus der Hand. „Bring ihn nach unten. Ich werde mich derweil um Sir Kay kümmern.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, tauchte er den Lappen in den Eimer mit heißem Wasser und begann dem Hofmeister mit rührender Fürsorge das Gesicht zu waschen. Gwyn beobachtete erschüttert, wie Sir Kay die Reinigung der Ohren und der Nase mit kindlichem Gleichmut hinnahm.
Katlyn legte Gwyn eine Hand auf die Schulter und deutete mit dem Kopf Richtung Tür.
Königlicher Besuch
„Wie lange ist Sir Kay schon in diesem Zustand?“, fragte Gwyn, als er von Katlyn die Treppe hinabgeführt wurde.
„Seit er die Augen wieder geöffnet hat.“
„Und er hat kein Wort gesprochen?“
„Nein. Wir müssen ihn füttern und säubern wie ein kleines Kind. Merlin und ich wechseln uns bei der Pflege ab. König Artur besucht ihn regelmäßig. Er ist der Einzige, den das Schicksal des Hofmeisters zu rühren scheint. Ihn und Lancelot.“
„Lancelot?“, fragte Gwyn überrascht.
Katlyn sah ihn nachdenklich an. „Erkennst du denn nicht, was die beiden miteinander verbindet?“
„Nein, beim besten Willen nicht.“
„Lancelot hat Ähnliches durchgemacht. Als du ihn damals auf deinem Weg nach Redruth gefunden hattest, war er völlig verwirrt und am Rande des Wahnsinns. Und er kann sich bis heute nicht an die letzten vierzehn Jahre seines Lebens erinnern. Er kennt das finstere Tal, durch das Sir Kay gerade irrt. Ich glaube, dass die Feindschaft, die beide miteinander verbindet, eher eine Hassliebe ist, in der immer noch Platz für einen Funken Mitgefühl ist. Ich glaube, Lancelot würde alles tun, um Sir Kay wieder zurückzuholen. Dein Herr ist in der Tat ein herausragender Ritter. Vielleicht der letzte, den es auf Camelot noch gibt.“
„Ja, das mag sein“, sagte Gwyn nachdenklich. Er mochte Lancelot gern, viel mehr noch als seinen früheren Herrn, Sir Urfin, dessen Freundlichkeit stets eine leicht spöttische Tonart gehabt hatte. Je länger die Zeit mit ihm zurücklag, desto mehr wurde sich Gwyn der Tricks bewusst, mit denen Sir Urfin es stets gelungen war, immer ein wenig Abstand zwischen sich und ihm zu halten, ohne es Gwyn jedoch direkt spüren zu lassen. Dass Sir Urfin letzten Endes ein eitler Mann war, der sich dank seines scharfen Verstandes
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