H2O
friedlichen, von Mangrovenbäumen gesäumten Wasserlauf entlangführte. Plastikteile trieben an der schlammigen Oberfläche und verfingen sich in den gewaltigen Wurzeln. Sie begegneten einem o-beinigen Angler, der nur Radlershorts trug und immer wieder sein Netz in das trübe Wasser warf. Seine hervortretenden Muskeln unterstrichen noch seine Magerkeit. Sénéchal beobachtete, dass er vor allem bunte Abfälle an Land zog: verrostete Elektrokabel, Teile von elektronischen Geräten und zerbrochene Platinen.
Ein Stück weiter verkündete ein Schild auf Englisch und Indonesisch, dass es aus hygienischen Gründen unter Strafe verboten sei, Gegenstände in den Fluss zu werfen.
Sénéchal fragte seinen Begleiter:
»Du studierst also an der Universität?«
»Ja. In Depok, nicht weit von Jakarta. Naturwissenschaften.«
»Fühlst du dich dort wohl?«
»Ja. Der Campus ist sehr schön. Es gibt viele Bäume und einen See.« Ein trauriges Lächeln huschte über Längs müdes Gesicht. »Doch man darf nicht mit seiner Freundin am See spazieren gehen. Die Geister dort würden die Liebe schnell zerstören ...«
Sénéchal fragte sich, ob Naturwissenschaften und Aberglaube an der Universität Depok immer so gut harmonierten. Ihm kam der Gedanke, dass der junge Mann wohl kürzlich Liebeskummer gehabt hatte.
»Was meinst du, warum hat deine Mutter all die Sachen deines Vaters weggeworfen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Kennst du Monsieur Rhaddiaunir gut?«
Der Junge zögerte kurz, was Sénéchal nur auffiel, weil er ihn aus den Augenwinkeln beobachtete.
»Nicht wirklich. Er war ein Freund meines Vaters, das ist alles. Ziemlich alt. Im Urlaub sind sie manchmal zusammen zu den Vulkanen gefahren, um sie zu filmen.«
»Hast du sie mal begleitet?«
»Nein, Vulkane interessieren mich nicht. Und mein Vater ... Er konnte manchmal ... sehr peinlich sein, müssen Sie wissen.«
»Hat sich dein Vater schon immer für Vulkane begeistert?«
»Nein.«
Angesichts der verstockten Miene des Jungen schwieg der Umweltinspektor.
Je weiter sie kamen, desto beißender wurde der Geruch nach verbranntem Plastik. Sie vernahmen Gesprächsfetzen und Maschinenlärm.
Hinter einer Biegung standen sie plötzlich vor einem Berg von Abfällen. Hinter einem kaputten Drahtzaun erblickte Sénéchal die größte Anhäufung ausgedienter Computer, die er je gesehen hatte - sie erreichte etwa die Höhe eines zweistöckigen Hauses. Und überall ringsumher machten sich Kinder daran zu schaffen. Ungeachtet der Gefahr, dass dieses Müllgebäude einstürzen könnte, waren mehrere von ihnen bis zum »Dach« geklettert. Dahinter stieg dichter Rauch zum Himmel auf und hüllte die Bretterbuden ein, die nur ab und zu sichtbar wurden.
Wie aus dem Nichts tauchte ein kleiner Sodaverkäufer vor den Neuankömmlingen auf. Stumm, den Blick hartnäckig geradeaus gerichtet, wich er ihnen eine ganze Weile nicht mehr von der Seite.
Reglos beobachtete Sénéchal das Treiben der Kinder. Staubbedeckt in der feuchten Hitze, trennten sie die Rechner von den Bildschirmen, sortierten Maus und Tastatur aus und warfen sie auf gesonderte Haufen. Zu zweit oder zu dritt schleppten Kinder die Rechner zu einer Gruppe von Männern mit nacktem Oberkörper, die sie, auf ihren Fersen hockend oder auf kleinen Hockern sitzend, in ihre Bestandteile zerlegten. Mit stumpfem Blick weideten sie diese aus, trennten Plastik von Metallteilen, sammelten elektronische Bauelemente und Kabel ... All diese Handbewegungen wiederholten sich endlos.
Ein Stück weiter zerlegten Jugendliche mit Helmen die Bildschirme. Sénéchal bemerkte ein Mädchen von etwa zehn Jahren mit getüpfeltem Hemd und Shorts, die Haare brav von bunten Kämmen zurückgehalten, wie es sich mit einer scharfen Zange an einem Berg von Verbindungskabeln zu schaffen machte, der einem Haufen riesiger Würmer ähnelte.
Der Rauchvorhang hob sich und enthüllte die ganze Ausdehnung der Müllhalde. Ein weiterer Hügel mit Tausenden von Handygehäusen, grauen Tastaturen und Chipkarten wurde sichtbar. Bretterbuden ragten aus dem vielfarbigen Gewirr elektronischer Einzelteile heraus. Dann wurde der Rauch nach unten gedrückt und verhüllte die Szenerie wieder.
Sénéchal setzte seinen Weg fort. Der Maschinenlärm, den er vorhin wahrgenommen hatte, wurde immer lauter, während er die Computerberge umrundete und achtgab, den kleinen Arbeitern nicht in die Quere zu kommen. Transistorradios und alle möglichen Einzelteile knirschten unter seinen
Weitere Kostenlose Bücher