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H2O

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Titel: H2O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patric Nottret
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Revolver, der in seinem Holster den Gesetzen der Schwerkraft trotzt. Der Mann sieht sie nicht direkt an, sondern fixiert die Marionetten mit den Schlitzaugen, die hinten auf ihrer Anrichte sitzen. Mit einem Blick, als würde er im nächsten Moment seinen Revolver ziehen und die Köpfe dieser albernen Figuren explodieren lassen. Anschließend würde er wahrscheinlich die Schmauchspuren vom Lauf wegpusten und eine Bemerkung machen wie: »Uff, jetzt ist mir wohler!«
    Die Frau begreift nicht, was dieser zweite Franzose hier will. Sie stößt den Rauch der amerikanischen Zigarette durch die Nase aus.
    »Darf ich mir Tee einschenken?«
    »Antworten Sie zuerst«, erwidert Edouardo, der Unerbittliche.
    »Mein Mann ... Also Shafik ... hatte die Hütte im ehemaligen Gemüsegarten für unseren Sohn Lang gebaut. Das ist lange her. Sie haben zusammen daran gearbeitet. Eine Hütte für einen kleinen Bengel. Damit er dort seine Ruhe hat, seine Freunde einladen kann oder ...« Sie wischt sich mit dem Ärmel eine Träne fort. »Um unabhängig zu sein, wie alle Jugendlichen es sich wünschen. Dann haben wir einen Holzzaun und eine Tür zwischen Garten und Gemüsegarten errichten lassen, damit er noch mehr für sich sein konnte. Mein Mann sagte, das sei wichtig für ein Kind ...«
    »Und das Funkgerät?«
    Edouardo, der Gereizte, hat den Kopf gesenkt, als prüfe er seine Chancen, die drei Marionetten mit einer einzigen Kugel zu erledigen.
    »Lang begeisterte sich für Amateurfunk, um amerikanische Musiksender von den Philippinen, aus Australien zu hören ... Um mit Gleichaltrigen überall in der Welt zu kommunizieren. Als er dann älter wurde und zu studieren begann, hat ihn das alles nicht mehr interessiert.« Sie wird mutiger und äußert mit nahezu fester Stimme: »Ich verstehe nicht, was Sie das alles ...«
    »Madame, es ist absolut in Ihrem Interesse, dass Sie mir vertrauen. Verlassen Sie vor allem nicht das Haus und telefonieren Sie mit niemandem.«
 
    Edouardo stellt seinen Handkoffer ab, öffnet ihn und zieht ein Paar weiße Latexhandschuhe heraus. Er streift sie über wie ein Taschenspieler, der gleich eine Taube aus seinem Hut zaubern wird, zögert einen Augenblick und zieht dann ein zweites Paar darüber. Vorsicht ist besser ... Gut, gut ...
    Er streicht sich mit dem behandschuhten Zeigefinger über den Schnauzbart, holt dann eine orangefarbene Brille und eine Neonröhre heraus, die auf einem Haltegriff montiert ist. Als er sie einschaltet, leuchtet sie blau auf. Er setzt die Brille auf, geht zum Fenster und zieht die Vorhänge zu. Edouardo nun ganz in Blau. Das indigofarbene Licht modelliert die Schatten in seinem Gesicht und verwandelt es in eine schaurige Maske. Mit seiner Zauberlampe leuchtet er über die teppichbespannten Wände, über die Möbel und den Fußboden. Die Wellenlänge, die von der Lampe ausgestrahlt wird, ermöglicht es, auch ältere Blutspuren und Abdrücke zu entdecken und Details zu erkennen, die für das bloße Auge unsichtbar sind.
    Edouardo brummelt unzufrieden vor sich hin. Edouardo hätte gerne eine bessere Ausrüstung, denn Edouardo findet nichts. Alle Spuren scheinen verwischt worden zu sein.
    Edouardo geht zu dem kleinen Sekretär, öffnet hektisch alle Schubladen. Er leuchtet sie nacheinander aus. Auf dem Boden der letzten Schublade entdeckt er in dem blauen Licht einen gut sichtbaren braunen Fleck: das Blut von Sénéchal. Dort hat er sich in den Finger geschnitten ... Perfekt. Daneben findet sich sogar ein kurzes weißes Haar, das auch von dem Umweltinspektor stammen muss.
    Nun schon besser gestimmt, macht sich der kleine Schnauzbärtige wieder ans Werk.
    Edouardo erahnt in dem bläulichen Schimmer mehr, als er sie sieht. Weitere braune Flecken auf dem Boden in der Nähe des Fensters. Winzige Flecken. Sie führen zu den Vorhängen und verschwinden dahinter. Mit einem Ruck zieht er die Vorhänge auf. Die Sonne dringt durch die Fensterläden ins Zimmer, blendet ihn ... Mist, das Fenster müsste verdunkelt sein ...
    Er kneift die Augen zusammen, dreht sich um. Sein Blick fällt auf den Schonbezug des Sessels vor dem Schreibtisch. Ein Gedanke schießt ihm durch den Kopf, seine Nackenhaare stellen sich auf ... Aber nein, das ist völlig unmöglich ...
    Edouardo wendet sich dem Fensterpfosten zu ... Nicht der Mühe wert. Es ist nicht der Mühe wert, sich des blauen Lichts zu bedienen. Er steckt die orangefarbene Brille in die Tasche und beugt sich vor, sein Schnauzbart ist nur wenige Zentimeter

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