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H2O

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Titel: H2O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patric Nottret
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ist Sénéchal, und wie es der Zufall will, bin ich Polizist.«
    Der Wärter führte ihn durch einen Raum voller Vitrinen, in denen Skelette, getrocknete Schmetterlinge und ausgestopfte Vögel ausgestellt waren. Sie gingen in den ersten Stock, die sorgfältig gebohnerte Treppe knarrte unter ihren Schritten, und bisweilen überdeckte der Geruch von Mottenpulver den Blumenduft, der durch die geöffneten Fenster hereindrang. Im Vorbeigehen bewunderte Sénéchal ein Vogelskelett, eine Art kleiner Strauß mit langem, gebogenem Schnabel. Ihm gegenüber veranschaulichte eine Gipsfigur, wie der Vogel zu Lebzeiten ausgesehen hatte. Der Inspektor fragte:
    »Was ist das für ein Tier?«
    »Eine Dronte von Réunion. Ein großer Vogel, der vor langer Zeit auf der Insel lebte.«
    Der Wärter bedachte den Besucher mit einem strahlenden Lächeln.
    »Aber sie sind alle im Kochtopf gelandet.«
    Er setzte wieder die Maske des korrekten Beamten auf und klopfte feierlich an eine Tür. Dann trat er einen Schritt zur Seite, um Sénéchal hereinzulassen.
    Hinter einem Schreibtisch mit einem unglaublichen Durcheinander von Pflanzen, Fossilien, Proben und Papieren musterte ihn eine große Dame. Ihr weißes Haar, das zu einem straffen Knoten zurückgekämmt war, verlieh ihr das Aussehen einer Lehrerin. Doch das mit bunten Blumen bedruckte Kleid strafte diesen Eindruck Lügen.
    Die Frau warf einen missbilligenden Blick auf die Hosenträger ihres Besuchers und begrüßte ihn über den Schreibtisch hinweg mit einem festen Händedruck. Sie sagte: »Sehr erfreut« und machte ein wenig Platz vor sich, indem sie einige Pflanzen beiseiteschob und ein paar Akten auf ein Metallschränkchen legte, auf dem seltsamerweise eine bestickte Decke lag.
    »Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht so früh erwartet. Zeigen Sie mir das Objekt bitte gleich mal.«
    Sénéchal legte die Hülle mit dem Knochen vor sie und direkt daneben seinen Dienstausweis. Sie beugte sich vor.
    »FREDE? Erstaunlich, ich konnte es am Telefon kaum glauben.«
    »Manchmal kann ich es selbst kaum fassen, dass ich dort arbeite ...«
    »Na schön, sehen wir uns diesen Knochen mal an.«
    Mit einem Schlüssel öffnete sie eine Schreibtischschublade und holte eine gebogene Pinzette heraus, mit der sie die Plastikhülle ergriff und zum Fenster trug. Dann drehte sie den Knochen hin und her, ohne ihn herauszunehmen.
    »Interessant. Es ist der Knochen eines Tieres, das nicht auf unserer Insel lebt.«
    »Wie können Sie das auf den ersten Blick wissen? Das scheint mir, ähm ...«
    Die große Dame wandte sich ihm zu, ein ironisches Blitzen in den Augen.
    »Weil es sich bei diesem vermeintlichen Knochen um die elastischen Wirbel einer Schlange handelt. Einer großen Schlange. Und es ist nun einmal Tatsache, mein lieber Inspektor, dass wir auf Réunion keine Schlangen von dieser Größe haben ...«
 
    Pfeifend verließ Sénéchal das Museum.
    Die Konservatorin hatte ihm versprochen, für die genauere Bestimmung des Wirbels einen Fachmann zu konsultieren, vorausgesetzt natürlich, dass er ihr die Plastikhülle mit dem Knochen überließ. Sie hatte ihm auch versichert, dass er ihre verschlossene Schreibtischschublade nicht verlassen würde. Dann hatte sie ihm erklärt, dass das Rückgrat einer Schlange zwischen einhundertsechzig und zweihundert solcher Wirbel haben konnte. Sénéchal hatte sich erkundigt, wo in der näheren Umgebung der Insel Réunion so große Schlangen vorkämen. Ohne zu zögern, hatte sie geantwortet:
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es gegenwärtig auf Madagaskar, unserer Nachbarinsel, sechzig Schlangenarten gibt. Unter anderem drei Boa-Arten.«
    Sie fügte hinzu:
    »Große Tiere, Inspektor - zweieinhalb bis drei Meter lang. Und sie verfügen über thermische Detektoren, die es ihnen ermöglichen, ihre Beute auch bei vollkommener Dunkelheit anzugreifen.«

53
 
 
 
    »Charles Designe am Apparat.«
    »Hier spricht Inspektor Sénéchal von der FREDE.«
    Abgesehen von einem leichten Echo war die Verbindung mit dem Schiff ausgezeichnet.
    »Ich möchte dringend mit Ihnen und Monsieur Ziegler sprechen - so bald wie möglich. Sie kommen doch heute in Port an, oder?«
    »Nein, heute nicht. Wir sind in einer geschützten Bucht im Süden der Insel vor Anker gegangen. Im Moment herrscht zwar völlige Windstille, aber das Barometer fällt. Nach der Ruhe vor dem Sturm, wenn sich der Zyklon nähert, könnte es hoch hergehen.«
    »Wo genau sind Sie?«
    »In der Nähe von Puits des Francjais.

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