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Haarmanns Kopf

Haarmanns Kopf

Titel: Haarmanns Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Ebstein
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den Raum. Nachdem er das Licht ausgeschaltet und die Tür geschlossen hatte, atmete er tief ein. Nun, da er sein Ziel erreicht hatte, war es Zeit für seine Belohnung. Er spürte, dass sein Körper von einer Erregung erfasst wurde, die unverzüglich nach Befriedigung verlangte. Ein stärker werdendes Kribbeln stieg in ihm auf. Den Behälter vor sich her tragend, fuhr er mit dem Aufzug zurück ins Erdgeschoss. Schnell hatte er den Empfangsbereich erreicht. Er öffnete die Styroporbox und stellte vorsichtig den Behälter hinein.
    Ein lang anhaltendes Stöhnen zeigte ihm an, dass der Pförtner sein Bewusstsein zurück erlangte. Er hastete schnell zu dem Verletzten und beugte sich über ihn.
    „Hilfe“, hauchte dieser mit schwacher Stimme. „Was ist passiert? Wo bin ich?“
    Der Fremde beantwortete die Frage nicht. Für Dialoge blieb jetzt keine Zeit. Der Dämon in ihm wurde stärker und verlangte nun seinen Tribut.
    Wie in Trance, beugte er sich über den Hals seines hilflosen Opfers und hörte, wie der Dämon zu ihm sprach: „Tu es jetzt! Tu es für mich!“
    Er kniete jetzt seitlich neben dem Pförtner. Sein Kopf befand sich unmittelbar über der Kehle des hilflosen Verletzten, dessen Atem sehr schwach war.
    Noch einmal ertönte in seinem Kopf die Stimme des Dämons: „Tu es!“
    „Ja. Jetzt werde ich eins mit dir“, flüsterte der Fremde und öffnete seinen Mund.
    Blitzartig – einem Fallbeil gleich – bohrten sich die Zähne des Fremden in den Hals seines Opfers. Der Pförtner spürte, wie sein Kehlkopf langsam unter dem Druck zerbarst, begleitet von einem dumpfen, knirschenden Geräusch. Eine gefühlte Ewigkeit rang er verzweifelt nach Luft und ruderte mit den Armen, fand jedoch keinen Halt. Noch einmal riss er die Augen auf und blickte in das helle Neonlicht über ihm, das bald in einem Nebel verschwand, um dann in einem hellen Blitz aufzugehen und am Ende eines langen Tunnels zu verschwinden.
    Der Fremde erlebte eine große Genugtuung und fühlte, wie er eins wurde mit dem Bösen. Nichts verhalf ihm zu mehr Befriedigung als das Gefühl, mit seinen bebenden Lippen und allen Sinnen zu spüren, wie das Leben aus dem Körper seines Opfers wich. In diesem Augenblick erlag er seiner Hybris.
    Einmal Gott sein. Der Gott des Bösen, Herrscher über den Tod. So musste sich auch Fritz Haarmann gefühlt haben, wenn er seinen Opfern die Zähne in den Hals schlug.
    Langsam wich der diabolische Blick aus seinen Augen und die Anspannung fiel von ihm ab. Der blutige Geschmack in seinem Mund erregte ihn noch eine Weile. Doch er musste gehen. Sein Weg würde ihn noch in derselben Nacht nach Norden führen.

5

 
    Yannik hatte schon um 7:00 Uhr das Büro erreicht. Martin wollte um 8:00 Uhr eintreffen, und die Zeit bis dahin wollte Yannik nutzen, um weitere Recherchen anzustellen. Ein Kollege aus dem K2 hatte ihm auf dem Flur eine Ausgabe der Göttinger Morgenpost in die Hand gedrückt. Er stellte seinen Kaffeebecher auf dem Schreibtisch ab und sah auf die Titelseite der Zeitung. Ihm verschlug es fast den Atem, als er die große Schlagzeile las:

 
    Bestialischer Mord in der Rechtsmedizin
    Polizei tappt im Dunkeln

 
    Donald Kettner, der übereifrige Reporter, hatte zugeschlagen und die Bitte des Leiters des Kommissariats, mit der Berichterstattung über den Mord zu warten, einfach ignoriert. Seine Handschrift war unverkennbar. In seinem reißerischen Artikel stellte er die Frage, ob der Geist des Serienmörders Fritz Haarmann, des Vampirs von Hannover, nach mehr als 90 Jahren zurückgekehrt war. Unter der Schlagzeile ein Bild von Haarmanns Kopf, gekennzeichnet mit einem dicken, roten Pfeil und dem Text:

 
    Wo ist dieser Kopf?

 
    Yannik schob die Zeitung beiseite und schaltete seinen PC ein. Er hatte sich aus dem Polizeiarchiv die alten Akten des Falls Haarmanns besorgt und blätterte in einem staubigen Ordner. Zu seinem Erstaunen las er dort, dass die Ermittlungen der Mordkommission im Juni 1924 ergaben, dass Haarmann für das damalige Diebstahlkommissariat schon länger als Spitzel tätig war. Er wirkte als agent provocateur bei der Überführung von Hehlern mit. Außerdem hatte er mit einem ehemaligen Kriminalbeamten eine Detektei gegründet. Ein selbst ausgestellter Detektiv-Ausweis verschaffte ihm Zutritt zum Wartesaal des Hauptbahnhofs von Hannover. Dort war er als Kriminal-Haarmann bekannt. Ausgestattet mit dem Ausweis, durchstreifte Haarmann sechs Jahre lang die Wartesäle des Hauptbahnhofs und sprach

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