Haarmanns Kopf
geschnittenes Haar begann an den Schläfen zu ergrauen und ließ ihn ein wenig älter erscheinen. Der dunkle Teint und die dunkelbraunen Augen deuteten auf seine südeuropäische Herkunft hin, und die gesamte Erscheinung des Arztes wirkte sehr gepflegt.
Er saß hinter seinem Schreibtisch und blätterte in einem Aktenordner. Dann erhob er sich, schob seine Brille auf der Nase zurecht und kam auf Martin zu.
Er streckte ihm die Hand entgegen und sagte: „Guten Tag, meine Herren. Ich bin Dr. Paganetti und leite diese Klinik. Was kann ich für Sie tun?“
Nach einer kurzen Begrüßung bat der Arzt sie, an einem Besprechungstisch im seitlichen Bereich des Raums Platz zu nehmen.
„Schwester Ingrid sagte mir, dass Sie sich für einen meiner Patienten interessieren?“, sagte er mit fragendem Blick.
„Ja, das ist richtig. Mein Kollege, Oberkommissar Marholdt und ich, sind von der Mordkommission Göttingen. Wir ermitteln in einem Fall, bei dem ein Pförtner der Gerichtsmedizin Göttingen auf grausame Weise ermordet wurde“, erklärte Martin.
„Ein Mordfall. So, so“, erwiderte der Arzt nachdenklich. „Und wie soll ich Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen?“
„Bei der Untersuchung sind wir auf DNA gestoßen, die zu einem Ihrer Patienten passt. Sein Name ist Volkmar Dembowski. Und nach unseren Informationen befindet er sich hier, in dieser Klinik“, sagte Martin.
„Herr Dembowski ist hier untergebracht. Das ist richtig. Aber wie sollte seine DNA an den Tatort gelangen? Er befindet sich hier im Maßregelvollzug und da sind Freigang oder ein zeitlich befristeter Urlaub ausgeschlossen. Herr Dembowski hat seit seiner Einweisung die Klinik nicht verlassen“, erklärte Paganetti. „Es muss sich um einen Irrtum oder eine Verwechslung handeln.“
„Herr Dr. Paganetti, Sie können davon ausgehen, dass eine Verwechslung ausgeschlossen ist. Herr Dr. Ebeling – von dem ich Sie übrigens herzlich grüßen soll – hat die Untersuchung und die Obduktion durchgeführt. Das Ergebnis des anschließenden Vergleichs mit unserer Datenbank ergab eine Übereinstimmung der DNA von 99,98 Prozent. Der Speichel stammt eindeutig von Dembowski.“
„Dr. Ebeling, sagen Sie? Ja, wir kennen uns gut. Was nicht heißen soll, dass er sich nicht auch mal irren kann. Errare humanum est .“ Paganetti lächelte.
„Wir würden gerne mit Dembowski reden. Ist das möglich?“, fragte Yannik.
„Wissen Sie, meine Herren, das ist nicht so einfach, wie Sie sich das vielleicht vorstellen. Wir behandeln hier überwiegend Straftäter, die an psychiatrischen Krankheiten wie Schizophrenie, depressiven Psychosen, Neurosen und schweren Persönlichkeitsstörungen leiden. Manche Patienten sind in ihrer geistigen Leistungsfähigkeit von Geburt an oder beispielsweise infolge eines Verkehrsunfalls erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus sind im Maßregelvollzug drogen- oder alkoholkranke Straftäter untergebracht. Vermutlich denken Sie, dass im Maßregelvollzug vor allem Sexualstraftäter leben. Doch diese Personengruppe macht nur einen Teil der Insassen aus. Die übrigen Patienten haben sehr unterschiedliche Straftaten begangen. Dazu gehören Brandstiftung, Körperverletzung, Raub oder Tötungsdelikte.“
„Und was ist mit Dembowski? Warum ist der hier?“, fragte Martin.
„Ich müsste mir dazu noch einmal genau seine Akte ansehen. Doch lassen Sie mich noch eines sagen. Die Patienten leben hier nach einem geregelten Tagesablauf. Schon die kleinste Störung oder Änderung dieses Ablaufs kann sich negativ auswirken und die Arbeit von Wochen – ja, zum Teil von Monaten – zunichtemachen. Das muss auf jeden Fall berücksichtigt werden.“
„Das werden wir berücksichtigen“, versuchte Martin den Arzt zu beruhigen. „Aber Sie werden sicher verstehen, dass es zu unseren Aufgaben gehört, jeden Aspekt zu beleuchten, um uns ein detailliertes Bild verschaffen zu können. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mal in der Akte Dembowskis nachschauen könnten.“
Paganetti stand auf, ging zu einem Aktenschrank und öffnete eine der Schubladen. Darin befanden sich zahlreiche Hängeregister, die oben mit einem Namensschild versehen waren. Nach kurzer Suche kehrte er mit einem der Register zum Tisch zurück.
„Ohne in die Details zu gehen, kann ich Ihnen so viel sagen, dass er im April 1988 wegen Freiheitsberaubung und Vergewaltigung einer jungen Frau verurteilt wurde. In der Folgezeit beging er zwei weitere, ähnliche Straftaten und er wurde zu einer
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