Haarmanns Kopf
begegnet.“
Martin und Yannik schauten den Arzt fragend an.
„Sehen Sie es von der positiven Seite, meine Herren“, erklärte er weiter. „Er zeigt nicht das geringste Schuldbewusstsein, wobei er sicher weiß, dass er anders ist. Aber das fehlende Schuldbewusstsein ist auch gleichzeitig der Grund dafür, dass er so – man muss schon sagen freimütig – über sich und diesen Dr. Jacobsen erzählt. Vielleicht weiß er auch, dass sein Anderssein und seine Taten von der Gesellschaft nicht gebilligt und bestraft werden. Deshalb verdeckt er sein Handeln, aber nicht im Sinne von Schuld. Diesen unauflöslichen Widerspruch blendet er aus und hat einen Weg gefunden, damit zu leben. In seiner Wahnwelt verfolgt er das Ziel, so zu werden wie sein Vorbild Haarmann.“
„Um das zusammenzufügen, was zusammengehört“, ergänzte Yannik. „Deshalb beantwortet er auch nicht die Frage, wo er die Gehirnschnitte Haarmanns aufbewahrt.“
„Vermutlich“, sagte der Arzt und packte seine Aufzeichnungen zusammen.
*
Zurück im Büro lag auf Martins Schreibtisch der vorläufige Untersuchungsbericht der Spurensicherung und der Forensik. Er las aufmerksam die Ausführungen und kam zu dem Ergebnis, dass noch wesentliche Fragen unbeantwortet blieben.
Warum hatte Dr. Jacobsen ein Interesse daran, Bernhard Dembowski zu beeinflussen?
Aus welchem Grund hatte er ihn zu seinem Werkzeug geformt?
„Ich bin mir sicher, dass Jacobsen ein sehr perfides Ziel verfolgte“, sagte Martin und unterbrach seine Lektüre.
„Was meinst du genau?“, fragte Yannik.
„Er benutzte den verwirrten Bernhard Dembowski, um sich an seinem ehemaligen Chef, Dr. Paganetti, zu rächen. Jacobsen hat ein sehr starkes Motiv.“
„Du meinst seinen Rauswurf, den er Paganetti zu verdanken hat?“
„Ja, wobei Paganetti gar keine andere Wahl hatte. Ein alkohol- und drogenabhängiger Arzt ist für keine Klinik tragbar.“
„Aber reicht sein Rauswurf als Motiv aus? Wie soll das alles abgelaufen sein? Wenn ich dich richtig verstehe, gehst du davon aus, dass er Bernhard Dembowski dahin gebracht hat, den Kopf Haarmanns und die Gehirnschnitte zu stehlen und dabei die beiden Pförtner zu töten. Das ergibt doch keinen Sinn. Warum wollte Jacobsen den Verdacht auf Volkmar Dembowski lenken und was sollte Paganetti damit zu tun haben?“
„Auf den ersten Blick nichts. Das ist ja das Perfide. Aber überleg doch mal. Wenn Jacobsen wirklich das Geburtsdatum von Volkmar Dembowski in der Krankenakte gefälscht hat, muss es einen Grund dafür geben. Er ist davon ausgegangen, dass niemand weiß, dass Volkmar Dembowski einen Zwillingsbruder hat. Er wusste aber als Arzt ganz genau, dass die DNA eineiiger Zwillinge identisch ist und sich mit herkömmlichen Methoden nicht unterscheiden lässt.“
„Ich verstehe“, sagte Yannik. „Du meinst, er hat das alles mit Kalkül geplant. Wir sollten die DNA an den beiden Tatorten in Göttingen und München finden, da die Spur dann automatisch zu Volkmar Dembowski führen würde. Seine DNA war ja in unserer Datenbank.“
„Genau. Wir mussten zwangsläufig davon ausgehen, dass Volkmar Dembowski der Mörder ist, und Paganetti wäre in Erklärungsnot geraten, was ja auch tatsächlich so eingetreten ist. Und wenn herausgekommen wäre, dass ein Insasse seiner Klinik zwei Morde begangen hätte, dann wäre die Reputation Paganettis für immer zerstört gewesen. Wir sind ja in unseren Überlegungen sogar so weit gegangen, dass wir ihm eine Mittäterschaft nachweisen wollten.“
„Aber was ist mit dem Pfleger und dem Journalisten? Warum wurden die umgebracht?“
„Schröder und Kettner wurden ebenfalls von Jacobsen benutzt. Da bin ich mir auch sicher. Als sie ihren Zweck erfüllt hatten, ließ er sie von Bernhard Dembowski beseitigen. Wir müssen nur noch herausfinden, wie das im Detail abgelaufen ist.“
Martins Telefon klingelte. Es war ein Beamter der Spurensicherung, der ihn über den aktuellen Stand der Untersuchung in Dembowskis Haus informierte. Das Telefonat war nach wenigen Minuten beendet.
„Die haben den Metallbehälter untersucht und an der Längsseite aufgeschnitten“, sagte Martin. „Zuerst haben sie die Flüssigkeit im oberen Bereich abgepumpt. Dabei handelt es sich um Formalin. Deshalb auch der beißende Geruch im Keller.“
„Formalin?“, fragte Yannik. „Was, zum Teufel, wollte Dembowski denn damit?“
„Es geht noch weiter. Im unteren Teil befanden sich mehrere Liter Blut in einem separaten
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