Hab ich selbst gemacht
miterlebt. »Handarbeit war in Deutschland durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg eng an eine Kriegsökonomie gebunden. Da wurden zum Beispiel massenweise Socken für die Front gestrickt. Im Ersten Weltkrieg gab es sogar eine Reichswollwoche«, sagt Gaugele. Ich lese später im Lexikon nach, dass in der »Reichswollwoche« im Januar 1915 warme Unterwäsche für die Truppen gesammelt wurde. Die Frauen strickten und häkelten, was das Zeug hielt, um die Männer an der Front zu versorgen. »Dadurch erlebte Handarbeit in Deutschland eine Militarisierung, war in nationale Zwecke eingebunden«, sagt Gaugele. »Den ersten großen Bruch gab es dann in den 60er-Jahren. Die Frauengeneration entdeckte Handarbeit wieder, abseits der Kriegsökonomie. Man konnte zu dieser Zeit verschiedene Strömungen beobachten: Zum einen die Handarbeit als Teil eines ›guten‹ Haushalts, der das alte Verständnis von Handarbeit in gewisser Weise weiterführte. Zum anderen gab es aber auch eine neue Generation Frauen, die genau damit brach, die das alte Rollenbild ablegen wollte.«
»Was passierte da genau?«, will ich wissen.
»Kleidung war teuer in den 60er-Jahren. Da ging es beim Nähen vor allem ums Geldsparen. In den 70er- und 80er-Jahren wurde Kleidung dann sehr viel billiger. Plötzlich ging es vor allem darum, sich selbst auszudrücken. Zum allerersten Mal in der Geschichte war das Selbermachen nicht Teil einer Notökonomie, sondern ein Zeichen der neu entstehenden Wohlstandsgesellschaft.«
Wenn ich an die Generation meiner Oma denke, sehe ich tatsächlich Frauen vor mir, die stricken und nähen, weil es einfach nichts gab. Meine Mutter dagegen hat vor allem deshalb genäht, weil sie sich gern modisch kleidet. Zwar gibt es für den Osten den Spruch »Wir hatten ja nüscht«, aber Kleidung gab es immer, niemand musste nackt rumlaufen. Nur hatten Frauen auch im Sozialismus den Wunsch, individuelle Sachen zu tragen.
Aber heutzutage erscheint mir das Selbermachen nicht mehr nur als Teil unserer Wohlstandsgesellschaft, sondern im Gegenteil: auch als Alternative zu ebendieser.
Wenn ich zum Beispiel an meine selbst genähte Binde denke: Es bestand absolut keine ökonomische Notwendigkeit, sie mir zu nähen, eine Wegwerfbinde kostet nur ein paar Cent. Und trotzdem gibt es Frauen, die auf dieses Angebot der Konsumgüterindustrie verzichten. Nebenbei bemerkt haben die Frauen nicht ganz unrecht mit ihrer Behauptung, eine selbst genähte Binde sei die bessere Wahl: Sie war überraschend gemütlich, und ich hatte keinen Moment lang das Gefühl, sie sei irgendwie unzuverlässiger als eine Fabrikbinde. Nur, dass ich noch eine ganze Reihe Binden mehr bräuchte, würde ich ganz umsteigen wollen.
Es gibt anscheinend das Bedürfnis nach Alternativen zur gekauften Massenware. Heute schwingt beim Nähen, Stricken, Häkeln oft mit, eben nichts in Millionenproduktion Hergestelltes tragen zu müssen und zu wollen.
»So ist es auch«, sagt Elke Gaugele. »Das sehe ich als den zweiten großen Bruch. Nach dem ersten Bruch – weg von der Notökonomie, hin zur Wohlstandsgesellschaft – machte Handarbeit zwar kleinere Wandlungen durch: in den 60ern als Möglichkeit, Geld zu sparen, in den 70ern von der Umweltbewegung geprägt, in den 80ern dann Punk mit der Umcodierung bürgerlicher Kleidung. Aber der große Bruch ist nun, dass sich Handarbeit mit Konsumkritik verbindet, mit der Kritik an unserer Warengesellschaft. Nachhaltigkeit ist heute das wichtigste Schlagwort.«
»Und wo hat diese Entwicklung angefangen?«, frage ich.
»Im Bereich der Handarbeit mit der dritten Welle des Feminismus in den USA . Anfang der 90er-Jahre. Deren Vertreterinnen warfen den Feministinnen der zweiten Welle vor, viel zu verkopft zu sein, und entwarfen ihr Frauenbild neu – freier, konsumkritischer, spaßorientierter. Schon etwas vor dieser neuen feministischen Bewegung entstanden Subkulturen wie Graffiti, Street-Art oder Guerilla Gardening. Deren Vertreter bildeten zusammen etwas wie eine Kommunikationsguerilla. Die übte Kapitalismuskritik und Gesellschaftskritik in einem, Kritik an den Produktionsbedingungen.Naomi Kleins ›No Logo‹ könnte man als deren wichtigstes Buch sehen. Und die Selbermachbewegung wurde ein Teil dieser Guerilla.«
Dass der Widerstand gegen die Konsumkultur aus den USA kommt, erscheint mir logisch – immerhin sind die Vereinigten Staaten das Mutterland des Konsums.
»Aber in Deutschland?«, frage ich Elke Gaugele. »Ehrlich gesagt kommen mir die
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