Hab ich selbst gemacht
den Topf. Rühren, blubbern, Gläser füllen, fluchen. Am Abend haben wir 32 Gläser Pflaumenmarmelade.
»Das können wir niemals essen«, stöhnt mein Co-Marmeladenkoch. Er fläzt sich auf einem Küchenstuhl und lässt seinen Blick durch die Küche wandern, wo auf jedem freienFleck ein Glas Marmelade steht. »Wir können ja welche verschenken. Sollen wir nachher Alex eins mitbringen?«, schlage ich vor, schmiere mir den Rest Pflaumenmarmelade aus dem Topf auf ein Stück Brot und beiße hinein. »Geil, probier mal!« Ich reiche das Brot über den Tisch und lasse den Mann abbeißen. Alex ist ein Schulfreund des Mannes, der im gemeinsamen Geburtsort wohnen geblieben ist und heute Geburtstag feiert. Leider. Denn das heißt, dass wir heute noch ausgehen müssen. Mit merkwürdig braun verfärbten Fingerkuppen vom Pflaumenkernpulen. Ich habe meine Hände schon zwei Mal mit der Bürste bearbeitet und eingecremt, aber die werden jetzt wohl ein paar Tage so aussehen.
»Boah, die schmeckt echt. Aber wir können ihm doch keine Marmelade schenken?!?« Der Mann schluckt runter und sagt: »Der hält uns doch für bekloppt. Wer verschenkt denn bitte Marmelade?«
»Natürlich können wir das. Wir bringen ihm doch keine Aldi-Marmelade mit, sondern selbst gemachte. Das ist doch was völlig anderes.«
Er wiegt den Kopf hin und her, beißt noch mal in das Marmeladenbrot und noch einmal und nickt dann doch. »Ausnahmsweise«, schmatzt er. Dann ist der letzte Rest vom Pflaumenmarmeladebrot verschwunden.
Wir nehmen also ein Glas Marmelade mit auf Alex’ Party. Der Co-Marmeladenkoch steckt es ein und knallt es zur Begrüßung auf den großen Tisch des Gastgebers im Wohnzimmer. »Haben wir selbst gemacht, ihr Supermarktopfer. So was habt ihr noch nicht gegessen.«
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Tag 227
Landlust
Am nächsten Morgen gehe ich in die Küche und schaue mir stolz die kleine Versammlung Marmeladengläser an. Schade, dass wir keinen Keller haben, sonst würde ich mir dort eine ganze Wand voller Regale stellen und sie mit Eingekochtem befüllen: Marmelade, saures Gemüse, Kompott.
Ich bekomme wieder einen dieser komischen Sehnsuchtsanfälle. Sehnsucht nach dem einfachen Leben, nach einem Leben ohne Supermarkt, einem Leben von Selbstgeerntetem, – gekochtem, – gemachtem. Zwar begleitet mich dieses Gefühl schon das gesamte Experiment über, es ist ein Hintergrundrauschen, ein bisschen Motivation und ein bisschen unrealistische Schwärmerei – wie die Vorstellung von einem ruhigen, ausgefüllten Leben in einem kleinen Bauernhaus, mit einem Schaf vor der Tür. Aber wenn ich konkret an einem Projekt sitze, weicht diese Schwärmerei meist einem pragmatischen Realismus: Dieses Brot muss eben jetzt gebacken werden, diese Pflanze muss in einen Topf, diese Schuhe müssen leider mit der Hand genäht werden.
Aber mit dieser merkwürdigen Sehnsucht bin ich nicht allein: Angeblich träumt jeder vierte Deutsche davon, innerhalb der nächsten zwanzig Jahre aufs Land zu ziehen und den Stress in der Stadt hinter sich zu lassen. Nur würde ich gleichzeitig genau diesen Stress vermissen. Und mich schreckt die Vorstellung ab, auf dem Land für jede Besorgung, jeden Besuch beim Arzt oder bei Freunden ein Auto benutzen zu müssen – wo ich doch jetzt in der Stadt einfach alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreiche.
Aber wie auch immer man dazu steht: Der Landleben-Trend ist schon faszinierend. Zeitschriften wie Landlust, Landidee, Landpartie bedienen genau diese Sehnsucht nach dem Einfachen, Ländlichen, Selbstgemachten: mit Eingekochtem, hübsch gepflegten Gärten vor Bauernhäusern und dicken Schafwollpullovern an den Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind. Das Konzept funktioniert, die verkaufte Auflage beim Original und Marktführer Landlust steigt jedes Jahr um rund 25 Prozent und liegt im Moment bei über 700 000 Exemplaren pro Ausgabe. Fast alle großen Verlage haben ähnliche Zeitschriften auf den Markt geworfen, um auch ein Stück vom hausgemachten Biokuchen abzukriegen.
Überhaupt ist auch in der Landsehnsuchtsnische ein riesiger Markt entstanden, entdecke ich, als ich im Internet ein paar Zahlen recherchiere: Der Markt für Beet- und Balkonpflanzen, Stauden und Gehölze lag 2008 zum ersten Mal bei knapp vier Milliarden Euro und steigt jährlich zweistellig. Genauso in der Outdoor-Branche: Wandern war früher ein biederes Hobby, und eigentlich kostet es nicht viel mehr als etwas Zeit und ein paar feste Schuhe. Aber auch die Hersteller von
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