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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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nicht die Tür öffnete? Meine Frage wurde umgehend beantwortet. Ich hörte, wie er einen Schlüssel ins Schloss steckte. Das heißt, versuchte. Es machte ihm Probleme. Unser Schloss hatte seine Macken. Aber woher hatte er überhaupt einen Schlüssel? Mein Zweitschlüssel aus dem Handschuhfach, fiel mir siedend heiß ein. Der Typ vorhin im Auto. Natürlich. Er hatte ihn heimlich mitgehen lassen. Das hatte ich in meiner Aufregung wahrscheinlich nicht bemerkt. Und nun stand sein Komplize vor meiner Tür. Vielleicht waren sie sogar zu zweit. Die logischen Überlegungen nahmen mir nicht die Angst. Doch ich wusste endlich, was ich zu tun hatte. Ganz, ganz schnell die Polizei benachrichtigen. Ich griff hastig zum Telefon. In dem Augenblick hörte ich, wie das Schloss der Haustür aufschnappte. Die Tür wurde geöffnet. Meinen zitternden Händen entglitt das Telefon. Es fiel mit einem ohrenbetäubenden Lärm auf den Fußboden. Mir stockte der Atem. Gleich würde er bei mir sein. Ich musste mich verstecken. Und zwar sofort. Keine Zeit mehr, mich zu bücken, um das Telefon aufzuheben. Nur erst einmal weg. Ins Schlafzimmer. Einschließen. Durch die Terrassentür nach draußen in den Garten und um Hilfe rufen. Ich schloss mit fahrigen Fingern die Tür hinter mir und drehte den Schlüssel gleich zweimal herum. Mir war schwindelig. Ich musste mich für einen Moment an das kühle Holz lehnen, um nicht hinzufallen. Da klopfte er von der anderen Seite gegen die Tür.
    »Liebe Frau Meinberg, ich bitte Sie. Machen Sie auf. Ich will Ihnen doch nur helfen«, schmeichelte er mit samtweicher Stimme. Ich machte einen Satz ins Zimmer, als hätte er mich angefasst. Von wegen helfen. Eine blödere Ausrede, um bei mir einzubrechen, fiel ihm wohl nicht ein. Helfen musste ich mir selbst, und zwar ganz schnell. Aber irgendwie waren meine Bewegungen nicht so wendig und fix wie üblich. Der konstante Stress der letzten Stunden hatte meine Beine mit imaginären Gewichten behängt. Ich taumelte zur Terrassentür. Auch hier hingen plötzlich Gardinen vor den Scheiben. Ich zerrte sie hektisch beiseite und erstarrte vor Entsetzen. Die Glastür war verschwunden. Einfach nicht mehr da. Stattdessen kam ein Fenster zum Vorschein. Ein sehr breites, großes. Aber eindeutig ein Fenster und keine Tür. Das konnte doch überhaupt nicht möglich sein. Wie sollte jemand das an einem Tag geschafft haben? Das war völlig irrational. Das war … Unwichtig, was das war. Ich musste hier raus und hatte keine Zeit, mich auf logische Überlegungen einzulassen.
    Zum Glück war die Fensterbank nicht vollgestellt. Ich konnte einen Fensterflügel ohne Mühe öffnen. Mir strömte ein klarer, kühler Windzug entgegen. Ich sog ihn gierig ein. Der Gewitterregen hatte die staubige, schwülwarme Luft gereinigt. Ich lehnte mich vorsichtig nach draußen. Erleichtert stellte ich fest, das Schlafzimmer befand sich immer noch zu ebener Erde. An diesem verrückten Tag hätte es gepasst, wenn sich unsere Wohnung plötzlich im siebten Stock eines Hochhauses befunden hätte.
    Der Eindringling klopfte heftiger an die Schlafzimmertür.
    »Frau Meinberg, bitte. Seien Sie doch vernünftig. Ich bin es. Jonas Ohlsen.«
    »Verschwinden Sie!«, fauchte ich in seine Richtung. »Die Polizei ist bereits unterwegs.«
    »Ich bin Ihr Hausarzt!«
    Schwachsinn, dachte ich. Ich habe keinen Hausarzt. Ich impfe mich selbst, und Krankheiten kann ich mir nicht leisten. Mit dieser Einstellung war ich in den letzten Jahren von Infekten verschont geblieben. Der einzige Facharzt, den ich konsultierte, war ein Gynäkologe.
    Ich schwang das rechte Bein über das Fensterbrett und blieb rittlings darauf sitzen. Sport zahlt sich immer aus, sprach ich mir Mut zu. Vor allem der Reitsport. Aber diese kleine Hürde hätte ich sonst im Sprung geschafft. Nun musste ich mich auf den Bewegungsablauf konzentrieren, als würde ich einen komplizierten Parcours reiten. Als ich endlich mit den Füßen Bodenkontakt hatte, spürte ich, dass ich barfuß war. Der regenfeuchte Grasteppich erfrischte meine bloßen Fußsohlen. Ich atmete durch. Mein Möchtegernhausarzt hatte sein Türgebollere und Gebettele aufgegeben. Wahrscheinlich flüchtete er bereits. Oder, der Gedanke schnürte mir sofort die Kehle zu, war auf dem Weg zu mir in den Garten.
    »Hilfe! Überfall!« Ich schrie, so laut ich konnte. Aber das Ergebnis meiner Mühe war nur ein klägliches Krächzen. Dabei hatte ich sonst eine kräftige, durchdringende Stimme.
    Noch einmal.

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