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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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an alten Menschen nicht mag? Das ist schwer zu sagen, denn ich akzeptiere bei alten Menschen mehr an ihrem Verhalten als bei jüngeren. Warum sollten sie sich nicht verändern dürfen? Ja, und diese alten Starrsinnigen, die ihren Führerschein nicht abgeben wollen, kann ich auch nicht kritisieren. Denn genauso werde ich sein.
    Mir imponiert an alten Menschen, wenn sie ihr Interesse, etwas Neues zu beginnen oder zu lernen, nicht am Alter festmachen. Sondern einfach anfangen. Wie z. B. Leni Riefenstahl, die war über 60, als sie mit dem Tauchen begann. Oder wenn ich an meinen Vater denke. Ich brauche nur durch das Haus zu gehen oder in seine Werkstatt und sehe: Das hat er gewerkelt, als er 84 war. Das hat er versucht, neu zu erfinden, als er 88 war, und mit 90 ist er aus dem Kirschbaum gefallen. Ohne sich etwas zu brechen. Aber allein sein Alter und die Tatsache, dass es für ihn ganz selbstverständlich war, noch Kirschen zu pflücken, imponiert mir.
    Was würde ich mitnehmen, wenn ich ganz plötzlich mein Heim verlassen würde? Schwierig. Entscheidend ist: Wo komme ich hin? Wie viel Platz werde ich haben? Ein Zimmer? Wie viel Zeit habe ich? Zehn Minuten oder zwei Tage? Kann ich die Wände mit Fotos behängen? Wenn das Haus brennen würde, dann würde ich meinen Ordner mit Papieren und meine eiserne Kassette mit Adressen von Bekannten greifen.
    Wenn ich etwas Zeit hätte, noch ein paar Foto-CDs, zehn meiner wertvollsten Muscheln und ein paar Flaschen aus meiner Sammlung.
    Wenn ich mich als 86-Jährigen sehe, dann sehe ich mich unterwegs. Ich habe noch so viele Pläne und Reiseziele, so alt kann ich gar nicht werden, um sie alle in die Tat umzusetzen.
    Und ich sehe mich auch zu Hause. So wie die Bilder alter Griechen, die zufrieden vor ihren Häusern sitzen. Für sich sind und doch noch dazugehören. Sich und das Leben betrachten.

Kapitel 8
     
    Es klingelte an der Haustür. Ich fuhr hoch. Das Foto flatterte von meinem Schoß und landete auf dem Teppichboden. Chris lächelte mich strahlend an. Chris. Ich musste im Sessel eingeschlafen sein und hatte wirklich geträumt.
    Es klingelte schon wieder. Länger und ungeduldiger. Meine Güte. Erst einfach verschwinden und dann auf Sturm klingeln. Hatte Hans jetzt auch noch seinen Hausschlüssel vergessen? Mein Blick suchte die Zeiger der Uhr. Kurz vor Mitternacht. Ich war gespannt, was für eine Geschichte mein Mann zu bieten hatte. Die musste verdammt gut sein, um mich von der Notwendigkeit zu überzeugen, mit den Kindern die halbe Nacht unterwegs zu sein. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen und vorher die gesamte Wohnung umzukrempeln. Wer weiß, wer ihn dazu überredet hatte. Hans war einfach zu gutmütig. Lilly und meine Mutter fielen mir sofort als Anstifterinnen ein. Den beiden traute ich jede Verrücktheit zu.
    Aber vielleicht hatten sich durch den kurzen Schlaf meine Sinne wieder beruhigt, und hier hatte sich überhaupt nichts verändert. Der steril wirkende Flur zerstörte diesen Anflug von Hoffnung. Meine vertraute Umgebung präsentierte sich weiterhin befremdlich anders. Es klingelte ein drittes Mal. Obwohl ich sicher war, draußen konnte nur Hans mit den Kindern stehen, schaute ich aus Gewohnheit erst durch den Spion. Ich fuhr erschrocken zurück. Vor der Tür stand ein wildfremder Mann.
    »Frau Meinberg? Hallo? Machen Sie doch bitte auf!«, rief er freundlich bittend. Dabei hielt er die Augen so dicht an den Spion, als würde er genau wissen, dass ich mich bereits auf der anderen Seite befand. Ich gab keinen Mucks von mir.
    »Frau Meinberg, lassen Sie mich bitte für einen Augenblick herein. Ich möchte mich nur vergewissern, dass es Ihnen gut geht.« Seine Stimme hatte einen warmen, werbenden Ton.
    Was hatte es diesen Menschen zu interessieren, wie es mir ging? Mitten in der Nacht. Ich drehte mich um und entfernte mich schleichend, Schritt für Schritt von der Haustür.
    Er klingelte abermals. Was wollte der von mir? Wusste er vielleicht, dass ich allein im Haus war? Diffuse Angst kroch in mir hoch. Dabei war ich absolut nicht der ängstliche Typ. Ganz im Gegenteil. Ich schlief bei weit geöffneten Fenstern und nahm mir für einen nächtlichen Heimweg selten ein Taxi. Hans regte sich darüber regelmäßig auf und bezeichnete mich als leichtsinnig.
    »Frau Meinberg, hören Sie? Ich werde jetzt die Tür aufschließen und hereinkommen«, kündigte der Fremde laut und deutlich an. Ich werde hereinkommen, klang es in mir nach. Wie wollte er hereinkommen, wenn ich ihm

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