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Hab keine Angst, mein Maedchen

Hab keine Angst, mein Maedchen

Titel: Hab keine Angst, mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Schmerz zugefügt. Einen Schmerz, der uns bis heute getrennt hat. Diese Wand zwischen uns macht es mir unmöglich, dich zu trösten, dir zu helfen. Dabei würde ich das so gern. Aber seit jener Nacht bist du weggelaufen und hast die Erinnerung verdrängt. Du hast nur noch gelernt, studiert, und nun arbeitest du wie eine Besessene. Du hast einen Kokon um dich gesponnen, den niemand durchdringen kann und darf. Noch nicht einmal Hans und auch nicht deine Kinder.
    Michelle, leg jetzt bloß nicht den Brief beiseite. Das sollen keine Vorwürfe sein. Ich wünsche mir nur von Herzen, dass ich dich wachrütteln kann, bevor es zu spät ist.
    Zurück zu der Nacht.
    Ich hatte Steve schon länger durchschaut. Dachte ich. Er war ein Luftikus. Ein Akrobat der schönen Worte. Ein Schauspieler, der einem so warm in die Augen schauen konnte, dass einem das Herz aufging. Aber er war unfähig zu lieben. Er brauchte immer wieder eine neue Herausforderung und schaute anderen Frauen hinterher. Frauen wohlgemerkt, glaubte ich, und nicht – halben Kindern.
    Aber er war Lenas Vater, und als solcher verhielt er sich bravourös. Er kümmerte sich um Lena und auch um dich. Er chauffierte dich zu den Turnieren und hörte mir geduldig zu, wenn ich ihm von meiner Sorge um dich erzählte. Deshalb habe ich unsere Ehe fortgeführt. Das Thema Mann hatte ich abgeschlossen. Steve und ich lebten wie Freunde oder besser ausgedrückt, wie gute Bekannte zusammen, die ihre Kinder großzogen. Dieses stille Abkommen verlor aber schon ein Jahr vor dem Unglück seinen Wert. Steve wurde immer unzuverlässiger, auch als Vater. Und er begann, einfach so, tagelang zu verschwinden. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Dieses launische Verhalten wurde mehr und mehr untragbar, und ich wusste, dass ich handeln musste. Michelle, wenn ich ansatzweise geahnt hätte, dass er keine Skrupel hatte, sich an meiner eigenen Tochter zu vergreifen, ich hätte ihn sofort zum Teufel gejagt. Aber hätte …
    Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und unser Verhalten korrigieren. Selbst Lilly kann das nicht.
    Zurück zu der Nacht. Die Feier im ›Seemann‹ endete früh. Als unsere Bekannten gegangen waren, habe ich mich mit Steve heftig gestritten. Wie so oft in der letzten Zeit. Dieses Mal ging es um Geld. Ich hatte ihm immer freie Hand gelassen, aber Steve begann mit seinen Ausgaben maßlos zu werden, und ich hatte ihm das Konto sperren lassen. Und in dem Streit habe ich auch den Mut gehabt zu sagen, dass ich mich scheiden lassen würde. Damit hatte Steve nicht gerechnet. Er ist wie ein Tollwütiger aufgesprungen und davongelaufen. Ich bin ihm nicht hinterher und allein dort sitzen geblieben. Ich wollte erst zur Ruhe kommen. Wenn ich geahnt hätte, was sich währenddessen zu Hause abspielte …
    Aber so habe ich dort gesessen und bin meinen Gedanken nachgehangen, bis eine Frau kreidebleich in die Gaststube gestürzt kam und um Hilfe rief. Es waren nicht mehr viele Gäste im ›Seemann‹,und wir sind alle nach draußen gelaufen.
    Erst dachte ich, diese Locken. So welche hat auch meine Lena. Ich sah den kleinen Körper in dem Nachthemdchen auf der Straße liegen und begriff: Das war Lena. Meine kleine Lena. Sie war tot. Mehr konnte ich nicht denken, nicht fühlen. Eines meiner Kinder war gestorben. Einfach so.
    Michelle, du hast mittlerweile selbst zwei Kinder. Stell dir vor, Mira oder Lasse würde etwas zustoßen. Du würdest auch durch ein Tal der Tränen gehen, und das dir gebliebene Kind könnte dir keinen Trost spenden. Jedenfalls nicht im ersten Augenblick des Schmerzes. Da macht man nicht alles richtig. Da leidet man nur. Wie sehr auch du gelitten hast und dass du dir an dem Unglück allein die Schuld gegeben hast, das hat mir Lilly erst später klar gemacht. Aber da war der Zeitpunkt für eine Umarmung, für tröstende Worte verstrichen. Und Lilly hast du als Vermittlerin sowieso nicht an dich herangelassen.
    Sie war in der Nacht am Unfallort. Sie hatte das drohende Unheil gespürt und war losgelaufen, um euch zu helfen. Ja, euch beiden. Aber sie kam zu spät.
    Ich konnte in der Nacht keinen klaren Gedanken fassen, genauso wenig wie du. Wir sind in ein Krankenhaus gebracht worden. Zusammen in ein Zimmer und doch Lichtjahre voneinander entfernt. Als wir am nächsten Tag wieder nach Hause kamen, war Steve verschwunden. Lilly hatte für mich entschieden und gehandelt. Das einzige Mal in den Jahren unserer Freundschaft, denn Lilly ist nie grenzüberschreitend und nimmt keinem

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