Hab und Gier (German Edition)
Trockner und servierte das Essen.
Hungrig wie ein Wolf, das konnte man von meinem Kostgänger allerdings nicht sagen, denn der Kranke stocherte in den Nudeln herum, nahm nur wenige Anstandshappen und fragte höflich, ob ich ihm nicht Gesellschaft leisten wolle. Ich holte mir einen Teller, verputzte den größten Teil des faden Gerichts – und plötzlich überfiel mich eine zentnerschwere Müdigkeit nach all den ungewohnten Aktivitäten.
Wir hatten nicht etwa am Esstisch gegessen, sondern hingen schlaff in den Polstersesseln. Es war mir ziemlich peinlich, als ich plötzlich von einem eigenen lauten Schnarcher erwachte. Als ich die Augen aufriss, wusste ich sekundenlang überhaupt nicht, wo ich war, und starrte Wolfram an wie einen Marsmenschen.
Er lächelte. »Wir sind wohl beide ein wenig eingenickt«, sagte er nur und schaute auf die Uhr.
Wie viel Zeit war vergangen? Ich wusste es nicht. Jedenfalls musste ich dringend auf die Toilette. Eigentlich wollte ich schleunigst nach Hause, aber nun konnte ich auch noch die Wäsche aus dem Trockner nehmen und oben in eine Kommode räumen.
»Genau über diesem Zimmer, in den großen Wandschrank«, sagte mein Arbeitgeber.
Offenbar schlief Wolfram mittlerweile in Bernadettes früherem Schlafzimmer, jedenfalls sah die geblümte Tapete danach aus. Auch das französische Bett mit einem Überwurf aus wattierter, provenzalisch gemusterter Baumwolle machte fast einen mädchenhaften Eindruck. Auf dem Nachttisch hatte Wolfram eine Flasche mit Mineralwasser neben mehreren Pillenpackungen deponiert. Mitten im Raum stand wie ein Fremdkörper ein Massivholztisch, auf dem viele Zeitungen ausgebreitet waren. Ich fegte sie auf den lila Teppichboden, hievte die gefüllte Plastikwanne auf die Tischplatte und begann die getrocknete Wäsche zusammenzufalten und zu sortieren.
Den Hauptteil machte die Unterwäsche aus. Schon bei der ersten voluminösen Unterhose stutzte ich, denn sie kam mir ebenso weiblich vor wie die Streublümchen an der Wand. Verwundert las ich das Etikett: Longpants, 100 % Baumwolle, Größe 50; von ähnlicher Sorte gab es noch eine ganze Menge, sogar in Rosa oder Lachs.
Armer Kerl, dachte ich, die eigenen Unterhosen sind ihm ausgegangen, da hat er zur Not eben die Schlüpfer seiner verstorbenen Frau angezogen. Bernadette Kempner musste, diesen Teilen nach zu schließen, ein ziemlicher Brocken gewesen sein. Ich hatte noch kein Foto von ihr entdeckt und sah mich jetzt neugierig um, zog sogar die Nachttischschubladen auf – nichts. Da ich mich nicht endlos damit aufhalten wollte, fing ich schließlich lieber an, die Fächer des Einbauschranks aus weißem Schleiflack mit sauberer Wäsche zu füllen, wobei ich etwas ratlos auf eine größere Anzahl sauberer Männerslips stieß. Welch eigenartige Weise, seiner Frau nochmals nah sein zu wollen!, dachte ich. Das musste ich unbedingt Judith erzählen, die würde sich kranklachen.
Kurz darauf wollte ich mich endlich verabschieden, fragte aber zum Schluss noch etwas scheinheilig: »Leider habe ich deine Frau nie kennengelernt. Wie sah sie eigentlich aus?«
Wolfram musterte mich nachdenklich, meinte: »Ganz anders als du«, griff hinter sich, zog ein gerahmtes Bild unter einem Sofakissen hervor und reichte es mir zögerlich. Es musste ein älteres Foto sein, denn die abgebildete Frau wirkte wie fünfzig. Leider zeigte es auch nicht die gesamte Person, sondern nur den Kopf bis zum Busenansatz.
Die tiefdekolletierte Bernadette war blond gefärbt mit dunkleren Strähnen, hatte einen rosigen Teint, graue Augen, ein freches Lächeln um den großen Mund und war sicherlich einmal eine Rubensschönheit gewesen. Mittlerweile hatte sie allerdings ein üppiges Doppelkinn und ziemliche Hamsterbacken.
»Eine attraktive Frau«, sagte ich höflich. »Warum hängst du das Bild nicht wieder an die Wand?«
»Ich sehe sie mir manchmal aus nächster Nähe an«, sagte Wolfram. »Aber du kannst sie ruhig wieder aufhängen«, und er deutete auf einen leeren Nagel über der Anrichte. »Und nimm doch bitte diese Entwürfe mit, und lies dir alles gut durch.«
Er überreichte mir einen DIN-A 4-Umschlag und entließ mich.
Als ich endlich in meinem neuen Auto saß und stolz damit nach Hause fuhr, musste ich immer wieder an Bernadettes Foto denken. Tatsächlich sahen wir uns überhaupt nicht ähnlich. Meine drahtigen, stets kurzgeschnittenen grauen Haare verliehen mir etwas Maskulines, so wie das Drahtgestell meiner Brille und meine etwas kantigen
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