Hab und Gier (German Edition)
darüber gesprochen?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf.
»Dieser Idiot«, sagte sie kopfschüttelnd und betrachtete sich eingehend die verräterischen Stigmata.
»Wolfram war alles andere als ein Idiot!«, sagte ich scharf.
»Ich meine doch nicht ihn, sondern Cord«, sagte Judith. »Er muss es gewesen sein. Dummerweise habe ich ihm erzählt, dass Wolfram von mir erwürgt werden möchte und ich es nicht übers Herz brächte. Das war ein unverzeihlicher Fehler! Cord wollte mir wohl einen Gefallen tun und hat wie immer bloß Mist gebaut. Wir haben doch noch gar kein gültiges Testament!«
»Wo steckt dieser schreckliche Cord? Etwa immer noch oben in der Mansarde? Warum nur hast du ihn jemals eingeschleppt!«
»Das ist eine andere Geschichte, die erzähle ich dir später einmal. Eine Hand wäscht die andere und so weiter. Wir haben uns gestern Abend gestritten, und er ist irgendwann in der Nacht abgehauen. Ich schau mal nach, ob er jetzt wieder oben ist.«
Das Unglück kommt auf leisen Sohlen, dachte ich nur.
In Windeseile war Judith zurück. Der Galgenvogel war ausgeflogen. Sollten wir ihn anzeigen und polizeilich suchen lassen?
Judith war strikt dagegen. »Wenn er nicht im Suff mit seinen Heldentaten angibt, sondern sein verfluchtes Maul hält, haben wir vielleicht doch noch eine Chance, demnächst Hausbesitzerinnen zu werden«, meinte sie.
»Ich fürchte, das ist gelaufen. Zum Glück haben wir unsere Wohnungen noch behalten. Es hilft nichts, wir müssen jetzt seinen Arzt anrufen«, sagte ich. »Wir können Wolfram doch nicht einfach hier liegen lassen.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte Judith. »Hol mir bitte die Nivea-Dose, mal sehen, was sich machen lässt.«
Vorsichtig bestrich sie den Hals des Toten mit der weißen Creme und meinte, ich solle die Daumen drücken, dass es klappt.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich.
Sie grinste. »Irgendwann kann man alles brauchen, was man mal gelesen hat. Du siehst immer von oben auf mich herab, weil ich fast nur Krimis lese. Aber Mörike und Fontane hätten dir bestimmt nicht weitergeholfen.«
»Nach wie vielen Stunden soll deine tolle Methode denn wirken?«, fragte ich. »Vielleicht können wir dem Hausarzt ja weismachen, dass wir ihn erst am späten Nachmittag gefunden haben…«
»Das könnten wir zwar versuchen«, meinte Judith, »aber so richtig überzeugt bin ich von diesem Trick ja selbst nicht, wir sollten ihm vorsichtshalber einen Rollkragenpullover anziehen.«
Davon waren genug vorhanden, weil Wolfram seinen schlaffen Hals schon immer gern kaschiert hatte. Es war Schwerarbeit, dem Toten die Schlafanzugjacke auszuziehen und ihm ein weißes Unterhemd und dann den etwas eingelaufenen, dunklen Pullover überzustreifen. Wir wählten ein Hemd mit einem hohen Turtleneck-Ausschnitt, damit die Creme keine fettigen Abdrücke auf der Innenseite des Pullovers hinterließ. Schließlich waren wir mit unserem Werk relativ zufrieden, denn Wolfram lag zwar mit offenen Augen, aber einigermaßen manierlich im Bett. Judith hatte vergeblich versucht, ihm andeutungsweise die Mundwinkel zu einem Lächeln hochzuziehen.
»Sieht etwas blöde aus, wenn man einen Pullover zur Schlafanzughose trägt«, meinte sie. Aber ich hatte keine Lust, den steifen Körper auch noch in eine Jogginghose zu zwingen.
»Wo hat er seine Papiere?«, fragte Judith.
Ich erinnerte mich sofort an die bewusste oberste Schublade, der dazugehörige Schlüssel steckte in Wolframs Hosentasche. Wir durchstöberten Notizblätter, Ausweise, Briefe und Krankenakten, bis wir fündig wurden. Etwa fünf unterschiedliche Testamente und einige zusätzliche Entwürfe lagen zwar teils ausgedruckt, teils handschriftlich vor, waren aber alle noch nicht unterschrieben und mit einem Datum versehen.
»Dieser Idiot!«, seufzte Judith zum zweiten Mal. »Alles hat er vermasselt, aber wir müssen jetzt trotzdem in der Praxis anrufen.«
Die Sprechstundenhilfe konnte ihren Chef zwar nicht ans Telefon holen, weil er gerade eine Ultraschalluntersuchung vornahm, versprach aber einen Rückruf, der auch eine halbe Stunde später erfolgte. Wolframs Hausarzt meinte tröstend, dass mit dem Tod seines Patienten schon seit Wochen zu rechnen gewesen sei, es aber für nahestehende Freunde und Angehörige stets ein Schock sei. Er komme gleich nach der Sprechstunde vorbei, also in etwa einer Stunde. Nach Ausstellung des Totenscheins könne ich dann Kontakt mit einem Beerdigungsinstitut aufnehmen.
Natürlich zitterten wir vor
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