Hab und Gier (German Edition)
magst, als es unseren Zwecken förderlich ist. Am Ende verliebst du dich noch in diesen Tatterich!«
»Blödsinn«, sagte ich ärgerlich. »Aber ich hatte nie etwas gegen ihn, und jetzt tut er mir einfach ein bisschen leid. Alt und krank zu sein ist kein Zuckerschlecken, und dabei bleibt er immerhin geduldig und höflich!«
»Da haben sich ja zwei Heilige gefunden! Nur auf das nette Häuschen will Santa Karla nun auch wieder nicht verzichten. Dann tu doch du ihm den Gefallen, und geh ihm an die Gurgel! Ich bin nicht scharf darauf, die Drecksarbeit zu übernehmen!«
»Warum lassen wir ihn nicht einfach auf natürliche Weise sterben! – Gute Nacht«, sagte ich und riss demonstrativ die Tür auf, damit sie ging.
Auf der Schwelle drehte sie sich um und flüsterte mir zu: »Wenn du den Verdacht hast, er will gar nicht mehr ins Gras beißen, dann sollten wir uns beeilen, sonst überlegt er es sich am Ende noch anders mit dem Testament. Schlaf gut, Karla!«
Natürlich schlief ich überhaupt nicht gut. Ich bekam einen nervösen Hustenanfall und fürchtete schon, das ganze Haus zu wecken. Ich setzte mich auf, wühlte in der Nachttischschublade nach einem Kräuterbonbon und hörte auf einmal Türen knarren und Schritte im Erdgeschoss. Es war drei Uhr nachts. War es ein Einbrecher oder Cord, der um diese Zeit hier nun wirklich nichts verloren hatte? Ich bekam es mit der Angst zu tun und verkroch mich unter der Decke. Musste ich Licht im Flur machen und nachschauen, wer der ungebetene Gast war? Und wenn ich tatsächlich einen Bösewicht in flagranti erwischte und der mich niederstreckte? Mir fiel der Fleischwolf wieder ein, den ich in Zukunft griffbereit neben meinem Bett deponieren wollte.
Zum Glück kam ich endlich auf das Naheliegendste, dass es nämlich Wolfram gewesen sein musste, der Tag und Nacht alle paar Stunden aufs Klo tappte. Ärgerlich über meine eigene Ängstlichkeit, nahm ich eine Baldriantablette und fiel bald darauf in einen unruhigen Schlaf. Ich träumte, Wolfram habe sich in einen Vampir verwandelt und gehe bei Vollmond auf Jagd.
11
Nachtgespenster
Nach jener unruhigen Nacht war ich am nächsten Morgen reichlich zerschlagen und missmutig, ganz im Gegensatz zu Wolfram. Ja, es schien fast so, als ob mich der alte Zausel ein wenig necken wollte.
»Wie fröhlich bin ich aufgewacht, wie hab ich geschlafen so sanft die Nacht«, zitierte er ein Kindergebet und feixte mich beim Frühstück an.
Ich wusste nicht genau, ob er es auf sich selbst bezog oder über meine schlechte Laune spottete. »In unserem Alter kann man häufig nicht durchschlafen«, murrte ich. »Man wird durch einen schlechten Traum geweckt, wälzt sich herum, wird von trüben Gedanken heimgesucht und ist fast erlöst, wenn es endlich hell wird.«
»Darunter hat schon der gute alte Mörike gelitten«, sagte Wolfram und hatte schon wieder das passende Zitat auf Lager:
»Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
Dort gehet schon der Tag herfür
An meinem Kammerfenster.
Es wühlet mein verstörter Sinn
Noch zwischen Zweifeln her und hin
Und schaffet Nachtgespenster.«
Ich stimmte ein:
»Ängste, quäle
Dich nicht länger, meine Seele!
Freu dich! Schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.«
»Jaja«, sagte Wolfram, »wir zwei kennen unsere Dichter noch aus dem Effeff. Das junge Gemüse heutzutage weiß kaum noch, wer Mörike ist, von Friederike Kempner ganz zu schweigen. Sosehr ich Judith auch mag, in diesen Dingen bist und bleibst du doch die Beste.«
Ich war gerührt. Wolfram hatte im Verein mit Mörike meine Stimmung gehoben.
»Wenn du lächelst, geht die Sonne auf und wärmt mich ein bisschen«, sagte Wolfram. »Doch die meiste Zeit scheint mir der Tod besser als mein armseliges Leben – all diese Tage voller quälender Schuldgefühle. Wenn alles vorbei ist, hat man endlich seine Ruhe.«
»Requiescat in pace«, sagte ich nur.
»Außerdem bin ich von den Opiaten selbst tagsüber etwas benommen«, fuhr er fort. »Doch immerhin vertreiben sie die Nachtgespenster, und dann habe ich manchmal gar keine so schlechten Träume, zum Beispiel hörte ich neulich im Schlaf die tröstliche Stimme meiner Mutter. Mörikes Morgenglocken gibt’s in der Grube auch nicht mehr…«
»Du glaubst also nicht an ein Leben nach dem Tod?«, fragte ich.
»Wenn ich meine Mutter wiedersehen könnte… Doch ich glaube nicht an das Märchen vom Himmelreich. Für mich ist der Tod das Ende, und damit basta. Außerdem gingen im Jenseits bloß
Weitere Kostenlose Bücher