Hab und Gier (German Edition)
Vortag, als ich Wolfram erst gegen Mittag wecken wollte und einen Toten vorfand.
An jenem Tag danach wachte ich allerdings noch früher auf, sehnte mich nach einem heißen Bad, zog mir aber vorerst nur einen Morgenmantel über und machte mir einen Kaffee.
Kurz darauf witterte auch Judith den Kaffeeduft und hielt mir fordernd eine Tasse entgegen.
»Guten Morgen, brauchst dich nicht mehr aufzuregen, er ist fort.«
»Cord?«
»Natürlich nicht der Wolf, der kann nur noch weggetragen werden. Ich habe Cord so zur Schnecke gemacht, dass er sich bestimmt nicht wieder hier blicken lässt. Nachher werde ich die Chefin anrufen und mich mindestens noch für heute krankmelden. Um zehn kommt der Mensch von Pietät & Takt oder wie sein Laden heißt. – Wie weit bist du gestern gekommen? Schon fix und fertig?«
»Bis jetzt nur allerlei weitere Übungen, ich bin allerdings immer noch nicht überzeugt von deiner Idee. Mach mal den Backofen auf, aber bloß nicht an! Dort findest du die Früchte meines nächtlichen Fleißes!«
»Und ich dachte, wir könnten dem Typ schon ein perfekt gelungenes Testament unter die Nase halten…«
»Es macht bestimmt nichts aus, wenn wir behaupten, Wolfram habe mir das Erbe zwar fest zugesagt, wir hätten in der Aufregung das Testament aber noch gar nicht gesucht. Schließlich haben wir gestern erst nach den üblichen Bürozeiten im Bestattungsinstitut angerufen.«
Auf die Minute pünktlich erschien ein riesengroßer Mann mit beflissener Trauermiene. Da der Tote ohne Familie sei, habe er mich als seine Vertrauensperson, Freundin und frühere Kollegin für alle organisatorischen und pflegerischen Aufgaben eingesetzt und versprochen, mich auch im Testament zu berücksichtigen, sagte ich. Als Beweis konnte ich immerhin die Bankvollmacht vorlegen. Anscheinend beruhigte es den Bestatter, dass hiermit für seine eigene Bezahlung gesorgt war. Er versprach, noch heute Wolframs Ableben beim zuständigen Standesamt zu melden und dort auch mehrere Sterbeurkunden für Versicherungen, Rente und dergleichen zu beantragen. Ich solle zuerst bei Herrn Kempners Rechtsanwalt nach dem Vorliegen eines Testaments fragen. Wenn dort keines hinterlegt sei, solle ich es unter seinen Papieren hier im Haus suchen, beim Amtsgericht abliefern und vom Nachlassgericht einen Erbschein anfordern. Erst wenn ich dieses Dokument in Händen hielte, könne ich weitere Schritte unternehmen. Der Tote werde in etwa einer Stunde von zwei Angestellten abgeholt.
Wir einigten uns auf einen Sarg mittlerer Preislage, erhielten auch die Zusage, den Leichnam nicht in einem Totenhemd, sondern in seiner jetzigen Bekleidung zu beerdigen. Dabei erfuhren wir, dass ein Talar oder etwas Ähnliches sowieso nicht mehr zeitgemäß sei. Ich erklärte, dass Wolfram von seiner Krebserkrankung schwer gezeichnet war und sich eine Aufbahrung verbeten habe. Auch die Trauerfeier solle nur im engsten Kreis stattfinden, ohne Pfarrer, ohne Trauerredner, allerdings mit der Lieblingsmusik des Verstorbenen, für die ich sorgen werde.
Als der Bestatter gegangen war, meinte Judith, ich hätte darauf bestehen müssen, dass man den Deckel des Sargs auf der Stelle schließen solle.
»Auf keinen Fall!«, sagte ich. »Der gute Mann würde doch sofort misstrauisch, wenn man allzu deutlich mit dem Finger auf die Wunde zeigt. Außerdem sind seine Angestellten bestimmt froh, wenn sie nicht noch lange an den Toten herumfummeln müssen. In manchen Dingen bin ich auch ohne Krimilektüre erfahrener als du.«
»Ja, ja«, brummte Judith, »du bist alt und weise. Aber trotzdem solltest du dich jetzt unverzüglich ans Werk machen.«
»Nur noch eine Frage«, sagte ich. »Hat Cord den armen Wolfram sehr gequält?«
»Angeblich hat Cord kein Licht angemacht. Der Wolf hätte nur lustvoll aufgestöhnt, dann sei alles sehr schnell gegangen. Er hat wohl gar nicht kapiert, wer ihm da an die Gurgel gegangen ist. Vielleicht glaubte er sogar, seine Alte sei auferstanden, um ihn abzuholen.«
»Cord kann dir alles weismachen, wir waren ja nicht dabei«, seufzte ich und zog mir die durchsichtigen Handschuhe an.
»Ich suche unterdessen nach ein paar DNA -Spuren, um sie auf deinem fertigen Werk zu verteilen«, sagte Judith. »Zum Beispiel könnte man mit Wolframs Zahnbürste den Umschlag befeuchten und ein Haar dazulegen.«
»Er hat doch so gut wie keine Haare mehr«, wandte ich ein und fing an zu schreiben. Ich war immer noch nicht restlos zufrieden mit dem Ergebnis, als die Totenträger
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