Hab und Gier (German Edition)
dieselben Probleme von vorne los! Nicht umsonst habe ich es Bernadette verboten, ihr Grab zu verlassen.«
Bleib, wo du bist! steht auf ihrem Stein, dachte ich, das klingt ein bisschen wie eine Beschwörungsformel.
»Bis heute ist mir nicht ganz klar, ob du Bernadette geliebt oder gehasst hast«, sagte ich und sah ihn prüfend an.
Er schwieg lange, bevor er erklärte: »Man kann ja nur hassen, wenn man sich anfangs heiß geliebt hat. Und selbst Demütigungen sind noch besser als Gleichgültigkeit.«
»Was mochtest du denn zu Beginn an ihr, und was hat dich am meisten gestört?«, fragte ich neugierig.
»Ihre kräftige Figur, ihre Haare, ihr fester Schritt gefielen mir sehr, ähnlich wie Judith war sie eine üppige Schönheit. Aber ihre Stimme war unangenehm, zu schrill, manchmal hysterisch. Ach Karla, lassen wir das, es ist doch jetzt nicht mehr wichtig.«
»Für dich aber immer noch«, meinte ich. »Dich scheinen nach wie vor heftige Gewissensbisse zu plagen…«
»Na ja, als Bernadette den Schlaganfall hatte…«
»Schon gut, ich weiß ja, dass du dich schuldig fühlst, aber du konntest doch nicht ahnen, dass sie sich in einer Notsituation befand!«
»Hätten wir bloß nicht wegen der blöden Qualle gestritten! Ich bin wegen der Qualle einfach durchgedreht.«
»Von einer Qualle hast du noch nie etwas erzählt.«
»Am liebsten würde ich sie aus meiner Erinnerung streichen. Diese habgierige Sabrina hat es seit eh und je verstanden, meine Frau auszuplündern. Bernadettes Geschwister sind alle sehr früh gestorben, die Qualle ist die einzige von Bernadettes Verwandten, die noch am Leben ist.«
»Warum nennst du die Nichte deiner Frau ausgerechnet Qualle ?«
»Sie setzt sich immer für irgendwelche armseligen Kreaturen ein, gründet Vereine und sammelt Spenden für den Tierschutz oder benachteiligte Menschen wie zum Beispiel Neuseelands Ureinwohner. Memento Maori hieß das Projekt, für das sie Bernadette viel Geld abgeknöpft hat. Und schließlich kamen auch noch die ekligen Feuerquallen an die Reihe. – Doch genug von diesem unerquicklichen Thema. Ich muss mich ein bisschen hinlegen!«
Er zog sich in sein Schlafzimmer zurück, ich räumte endlich den Frühstückstisch ab und die Spülmaschine ein. Als Nächstes putzte ich das Waschbecken und sammelte im Badezimmer Wolframs schmutzige Wäsche ein. Seit ich hier wohnte, waren keine riesigen rosa Schlüpfer mehr dabei. Danach hatte ich frei, konnte entweder beschaulich im Garten sitzen oder auf dem Sofa liegen und lesen. Während ich noch zögerte, was ich lieber täte, kam mir eine dritte Idee: Wie sah es eigentlich bei Judith oben im Dachgeschoss aus? Sie hatte mir bisher nicht gezeigt, wie sie sich eingerichtet hatte.
Ihr Auto stand nicht auf der Straße, weil sie seit Stunden ihrer Arbeit nachgehen musste. Trotzdem schlich ich die Treppe zu den Mansarden leise und vorsichtig hinauf. Mein schlechtes Gewissen kämpfte gegen die Neugierde an, die natürlich siegte.
Judiths Wohnungstür war abgeschlossen. Soso, sie traut mir nicht über den Weg, dachte ich etwas irritiert, na warte. Ich ging wieder hinunter und fand in einer Schublade des Sekretärs ziemlich rasch einen Zweitschlüssel mit einem winzigen Schildchen » M «. Etwas atemlos kam ich wieder oben an, hatte aber wiederum keinen Erfolg. War es doch ein falscher Schlüssel – vielleicht von M = Maria –, oder hatte Judith das Schloss auswechseln lassen? Ich versuchte durch das Schlüsselloch zu linsen und bemerkte nun endlich, dass anscheinend etwas von innen steckte.
Leicht verunsichert ging ich wieder hinunter und überlegte, was das zu bedeuten hatte. Im Grunde konnte es nur eine Erklärung geben: Cord hatte sich hier eingenistet und schlief in Judiths Bett, vollgepumpt mit Drogen oder Alkohol. So haben wir nicht gewettet, schimpfte ich vor mich hin, ihr habt mich reingelegt! Oder tat ich meiner Freundin Unrecht, und sie wusste überhaupt nicht, dass sich ihr dubioser Möbelpacker während ihrer Abwesenheit bei uns einquartiert hatte?
Den ganzen Tag über lauerte ich auf Schritte im Treppenhaus, auf das Zufallen der Haustür, das Rauschen der Toilettenspülung oder andere Indizien, die Cords Gegenwart bestätigten. Ich hatte zwar vor, ihn zur Rede zu stellen, gleichzeitig aber auch Angst vor einer unangenehmen Auseinandersetzung. Hatte ich überhaupt schon das Recht, ihm den Zutritt zu Wolframs Haus zu verwehren? Da sich nichts rührte, verdrängte ich die Angelegenheit, bis Judith
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