Hab und Gier (German Edition)
der Begutachtung des Arztes und hofften vor allem, dass er nicht auf die Idee kam, den eng sitzenden Pullover – am Ende gar mit unserer Hilfe – wieder auszuziehen. Aufs Äußerste gespannt, lauerten wir vor der Zimmertür auf das Ergebnis, doch unsere Sorge erwies sich zum Glück als unbegründet. Inzwischen war die Totenstarre deutlich ausgeprägt, der Doktor war mit seiner Inspektion sehr schnell fertig und füllte am Küchentisch die Formulare aus. Den Zeitpunkt des Todes schätzte er auf fünf Uhr in der Frühe, kreuzte als Todesart natürlich an und kritzelte als Diagnose: Organversagen nach metast. Bronchial-Ca . Die erste Hürde war überwunden.
Dann waren wir endlich allein, nahmen das Branchentelefonbuch zur Hand und suchten nach einem Bestattungshaus in unserer Nähe.
12
Die Fälscherwerkstatt
Der Bestattungsunternehmer sagte am Telefon, er könne erst am nächsten Morgen kommen, leider gehe es nicht eher. Inzwischen sollte ich die erforderlichen Papiere heraussuchen und bereithalten, nämlich den Personalausweis, die Todesbescheinigung des Arztes, das Familienstammbuch und die Versichertenkarte der Krankenkasse. Er würde uns bei den üblichen Formalitäten auch gern beraten und helfen. Außerdem sollten wir uns Gedanken machen, wo und in welchem Rahmen die Beisetzung stattfinden solle.
»Es kommt ja wohl nur eine Einäscherung in Frage«, sagte ich zu Judith. »Dann wären wir sicher, dass die Würgemale kein Thema mehr sind.«
»Ganz im Gegenteil«, meinte sie. »Vor der Freigabe zur Feuerbestattung ist nach meinen Kenntnissen eine Leichenschau durch den Amtsarzt vorgeschrieben. Im Übrigen ist Bernadette doch auch nicht verbrannt worden, oder?«
»Ja, natürlich, sie liegt in einem geräumigen Doppelgrab, Wolfram hatte seinen Platz neben ihr bereits eingeplant. Der Ort steht also längst fest. Aber sollen wir eine Anzeige aufgeben? Und was, wenn die Qualle auftaucht?«
»Das sind doch alles Peanuts. Wir dürfen keine Minute verschwenden und müssen uns auf die Testamentsoptimierung konzentrieren.«
»Wie bitte? Willst du etwa Wolframs Unterschrift fälschen?«
»Nicht nur die, das ganze Testament. So, wie es jetzt formuliert ist, kriegst du das Haus plus Vermögen ja nur, wenn man ihn wunschgemäß ins Jenseits befördert hat. Mit solch einer sittenwidrigen Vereinbarung kommen wir nie an das Erbe ran. Und wer soll eigentlich die Qualle sein? Etwa ich?«
Ich erklärte es ihr – und auf einmal verließ mich alle Kraft. Von Mutlosigkeit gebeutelt, sank ich aufs Sofa, überwältigt von Trauer und Schmerz. Noch nie im Leben war ich mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Bis auf ein geklautes Buch als Teenager und ein paar geringfügige Verkehrssünden war ich stets anständig geblieben. Wie weit war es mit mir gekommen, wenn ich bereit war, ein Testament zu fälschen? Ein derartiges Vergehen würde ich mir ein Leben lang nicht verzeihen, an dem erschlichenen Besitz hätte ich ohnedies keine Freude. Und wenn ich überführt würde, müsste ich wegen Urkundenfälschung in den Knast! Doch wenn ich gar nichts unternahm, waren alle meine bisherigen Bemühungen für die Katz, das hätte Wolfram bestimmt nicht gewollt.
Beim Gedanken an Wolfram kamen mir die Tränen, ich lief hinauf in mein Schlafzimmer und warf mich aufs Bett. Nie wieder würde ich friedlich mit ihm auf dem Sofa sitzen und fernsehen, nie mehr mit ihm essen, plaudern und Erinnerungen austauschen. Erst jetzt, wo er nicht mehr lebte, wurde mir klar, dass ich ihn eigentlich immer ganz gern gehabt, zumindest respektiert hatte. Warum hatte ich mich nicht mit dem zweiten Testament zufriedengegeben! Dann hätte ich ohne Ängste und Gewissensbisse eine ansehnliche Erbschaft einkassieren können. Vielleicht wäre eine nette, kleine Eigentumswohnung dabei herausgesprungen. Auf jeden Fall sollten wir nur die Nr. 2 der Entwürfe verwenden. Hier musste man einzig und allein die Unterschrift und das Datum einsetzen – eine lässliche Sünde, mit der sich leben ließ.
Kaum hatte ich mich einigermaßen gefasst, lief ich hinunter, um Judith von meiner Entscheidung zu überzeugen. Sie hatte auf Wolframs Schreibsekretär alle Testamente und Entwürfe ausgebreitet.
Von meiner Idee hielt sie überhaupt nichts. »Komm«, sagte sie, »wir setzen uns jetzt beide an den Küchentisch und üben. Mal sehen, wer Wolframs Klaue besser hinkriegt.«
Doch von Klaue konnte nicht die Rede sein, Wolfram hatte eine altmodische, fast pedantisch kontrollierte, kleine
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