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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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zum Beispiel für den Grabstein sorgen.«
    »Ich muss gestehen«, sagte Frau Altmann, »dass ich Bernadettes Grab noch nie besucht hatte. Die Inschrift ist mir völlig unverständlich, können Sie mir erklären, was das bedeuten soll?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Die gute Frau wird sich noch wundern, was mal auf Wolframs Grabstein stehen wird, dachte ich. Doch vorerst sagte ich möglichst unverfänglich: »Frau Rössling hat ihren Frust auch mir gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht. Befindet sie sich denn in einer finanziellen Notsituation? Ihr Wagen sah eigentlich nicht danach aus.«
     »Im Gegenteil«, sagte Frau Altmann. »Bernadette und ihr Bruder stammten aus einer betuchten Fabrikantenfamilie und erbten beide mehr als genug. Dieser Bruder, also Sabrinas Vater, ist nun schon seit zehn Jahren tot. Seine Exfrau war bereits vor ihm gestorben. Sabrina hat – ich weiß nicht genau, warum und wieso – durch falsche Beratung oder Fehlinvestitionen eine Menge Geld verloren; aber arm kann sie trotzdem nicht sein. Aber jetzt lassen Sie uns auf Ihren unvermuteten Reichtum anstoßen«, meinte Frau Altmann. »Ich habe noch eine Flasche Sekt im Kühlschrank, die gehe ich gleich holen…«
    »Heute bitte nicht«, sagte ich. »Mein Magen spielt etwas verrückt von all der Aufregung. – Aber mich würde noch interessieren, was für einen Beruf Sabrina Rössling eigentlich hat.«
    »Kann ich nicht genau sagen. Als Töchterchen eines reichen Vaters hat sie so dies und das studiert, hat sogar mal Keltologie belegt. Mal wollte sie Burlesque-Tänzerin werden, mal Drachenbauerin. Was sie im Augenblick macht, weiß ich nicht, auch nicht, ob ihr Freund berufstätig ist. Schon verständlich, dass ihre Eltern und auch Bernadette sich Sorgen um ihre Zukunft machten. Aber die leben ja alle nicht mehr.«
    »Wolfram Kempner hat mal angedeutet, dass sich die Qua–, ich meine, dass sich Sabrina um benachteiligte Lebewesen kümmere und dafür Zeit und Geld investiere. Was wissen Sie darüber?«
    »Bei der ist alles möglich«, sagte Frau Altmann, »würde mich aber wundern.«
    Aus dieser Bemerkung konnte man immerhin schließen, dass Frau Altmann keine allzu hohe Meinung von der Qualle hatte. Das beruhigte mich ein wenig, denn es kam mir mittlerweile unwahrscheinlich vor, dass sich die beiden gegen mich verbünden würden.
    Frau Altmann ließ zum wiederholten Mal ihre Blicke schweifen. »Bernadette besaß einen allerliebsten weißen Elefanten aus Porzellan, der früher auf dieser Fensterbank zwischen ihren Orchideen stand. Ich weiß nicht genau, ob Herr Kempner ihn weggepackt hat oder ob er noch irgendwo herumsteht. Den würde ich mir gern noch einmal anschauen!«, sagte sie.
    Ich begriff, woher der Wind wehte. Ich holte das plumpe Rüsseltier aus Bernadettes Nähzimmer und wurde den Kitsch zum Glück für immer los.
    Zum Abschied drückte mir Frau Altmann sowohl lange die Hand als auch ihre Hochachtung aus. Sie sei sehr beeindruckt, dass ich den kranken Herrn Kempner die letzte schwere Zeit seines Lebens begleitet, gepflegt und betreut habe. »So etwas gibt es selbst bei nahen Verwandten nur noch selten«, meinte sie. »Ich gönne Ihnen die unverhoffte Erbschaft von ganzem Herzen und wünsche Ihnen für die Zukunft alles erdenklich Gute.«
    Wahrscheinlich verband sie ihre überschwenglichen Worte mit der Hoffnung auf weiteren Nippes.
    Für heute hatte ich genug getan, entschied ich. Die Beerdigung, die peinliche Attacke der Qualle und der Besuch der neugierigen Nachbarin hatten mich aller Kraft beraubt. Eine Siesta war fällig, und zwar nicht auf dem Sofa vor laufendem Fernseher, sondern bei zugezogenen Gardinen im Schlafzimmer. Doch ich kam auch dann nicht zur Ruhe, bildete mir immer wieder ein, Schritte auf der Treppe zu hören oder Gespenster durch das Zimmer schweben zu sehen. Es war mir durchaus klar, dass ich Feinde hatte: nicht nur die Qualle, sondern auch Cord, der sich meinetwegen nicht mehr hertraute. Eventuell waren es auch die Toten, die sich bitter beschwerten. Bernadette hatte schließlich ihre Nichte als Erbin vorgesehen, Wolfram hatte sich Judith – und bestimmt nicht Cord – als Todesengel gewünscht. Beide machten mich für das Scheitern ihrer Pläne verantwortlich und wollten sich postum an mir rächen.
    Manchmal sieht man weiße Mäuse, versuchte ich mich zu beruhigen; Wolfram hatte mir versichert, dass er den Tod für das endgültige Aus halte, und eigentlich war ich stets derselben Meinung gewesen. Um mich

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