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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Die roten Haare sind gefärbt, von Natur aus sei sie dunkelblond. Von den sozialen Projekten wusste Frau Altmann nichts, nur dass die Qualle eine große Tierfreundin ist. – Karla, ich fürchte, da kommt noch einiges auf uns zu!«
    »Meinst du, ich sollte mich beim Nachlassgericht – genauso wie Sabrina – nach dem Inhalt des Testaments erkundigen?«, fragte ich. »Es sieht doch blöd aus, dass ausgerechnet ich es nicht wissen will…«
    »Aber hallo!«, sagte Judith. »Das solltest du gleich morgen tun. Und mit deiner Bankvollmacht würde ich das wölfische Konto schleunigst abräumen, bevor die Qualle ihre Tentakel ausstreckt. Sonst stehen wir am Ende noch mit leeren Händen da.«
    Ich nickte und fing an, Kartoffeln zu schälen.
    »Ach Judith, ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht. Dieser elende Papierkram! Wenn nur erst die Beerdigung vorbei wäre…«
    »Mein Gott, wir sind doch ganz unter uns, ohne Pfarrer und Trauergäste. Die Sache geht in wenigen Minuten über die Bühne.«
    »Noch liegt Wolfram nicht unter der Erde. Die Qualle könnte eine Obduktion beantragen…«
    »Nur die Ruhe, warum sollte sie? Letzten Endes ist sie doch froh, dass er mausetot ist.«
    »Auch wieder wahr. Aber ich muss wenigstens für die passende Musik sorgen, Wolfram hatte seine Favoriten, zum Beispiel Swanee River und Goodbye Johnny . Bernadettes Lieblingslied Junge, komm bald wieder werde ich aber bestimmt nicht auflegen.«
    »Karla, du bist unverbesserlich. Wolfram kann die Musik bestimmt nicht mehr hören, und mir kannst du sie ebenso gut hier in der Küche vorspielen.«
    Ich schüttelte den Kopf, mein Versprechen wollte ich auf jeden Fall halten.
    Die paar Tage bis zur Beisetzung verbrachte ich mit Putzen. Da ich seit vielen Jahren die Taktik anwende, die unangenehmsten Tätigkeiten erst einmal durch die zweitschlimmsten zu ersetzen, schob ich so den Papierberg vor mir her. Schon immer bügle ich lieber einen Berg saubere Wäsche, als den schmierigen Backofen zu putzen, schreibe lieber einen lang hinausgeschobenen Dankesbrief an meinen Bruder als die Beschwerde über eine überhöhte Handwerkerrechnung. Auf diese Weise muss ich kurzfristig kein schlechtes Gewissen haben, doch die Realität holt mich nach der kleinen Verschnaufpause immer wieder ein.
    In jener kurzen Zeitspanne hörten und sahen wir nichts von der Qualle, was ich zwar durch die körperlich anstrengende Arbeit tagsüber verdrängen konnte, allerdings nicht bei Nacht. In meinen Träumen lauerte Sabrina Rössling in meinem Badezimmer, betäubte mich mit ihrem Nesselgift, zog mich mit ihren gallertartigen Fangarmen in die Wanne und versuchte mich zu ertränken.

15
    Die Grablegung
    Judith hatte sich freigenommen, zwei andere Bibliothekarinnen ebenfalls. Sie wollten lieber auf dem Friedhof herumspazieren, als sich bei schönstem Sonnenschein hinter Büchern zu vergraben.
    Letztes Mal war der Friedhof nach dem langen Winter noch kahl gewesen. Diesmal duftete es nach Blüten, ein Rotkehlchen hüpfte von Stein zu Stein, und ich bemerkte gerührt, dass der Friedhof eine Oase für Eichhörnchen, Schmetterlinge und Vögel war. Die Bäume stehen voller Laub, das Erdreich decket seinen Staub mit einem grünen Kleide, summte ich vor mich hin. Auf den Gräbern wuchsen Begonien, fleißige Lieschen und Heidekraut. Was für ein schöner Ort, dachte ich, die vielen bemoosten Engelchen waren schon fast überwuchert.
    Ich war als Erste in der kleinen Friedhofshalle. Eine Weile stand ich unschlüssig vor dem aufgebahrten Sarg, bis Frau Altmann, dann Judith mit ihren Kolleginnen und schließlich auch die Qualle eintrafen. Bis auf mich und Frau Altmann war keine in Schwarz erschienen, allerdings auch nicht in fröhlichen Farben. Meine Nachbarin hatte einen dicken Strauß aus ihrem Garten mitgebracht und verteilte Blumen an die Trauergäste.
    »Wir sollten sie nach der Predigt auf den Sarg legen«, flüsterte sie. Wahrscheinlich war sie bitter enttäuscht, dass es keine Reden gab. Judith bemerkte in sachlichem Ton, der Verstorbene habe sich keine Zeremonie, sondern nur zwei Musikstücke gewünscht, und ließ die beiden Lieder abspielen. Im Anschluss saßen wir noch fünf Minuten still auf unseren Plätzen, bis mir ein Mann in grauer Dienstkleidung einen fragenden Blick zuwarf und ich ihm kurz zunickte. Der Sarg wurde hinausgetragen, wir folgten.
    Mit hochrotem Gesicht erschien plötzlich die Feuerqualle an meiner Seite und verspritzte ihr Gift: »Erbschleicherin«, zischte sie.

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