Hab und Gier (German Edition)
»Sie werden noch von mir hören!«
Ebenso leise konterte ich: »Sie dürfen sich gern ein wertvolles Erinnerungsstück aussuchen, wie wäre es mit dem Biedermeier-Sekretär?«
Zu meinem Entsetzen spuckte die Qualle vor mir aus, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Trauerzug. Alle blickten hinter ihr her, wie sie die lange Allee hinunterstakste. Es setzte ein allgemeines Getuschel ein, das nicht abreißen wollte, bis wir am Ziel ankamen, wo die Erde direkt neben Bernadettes letzter Ruhestätte bereits ausgehoben war. Wer noch nie hier gewesen war, las ungläubig und mit Befremden: Bleib, wo du bist! auf ihrem Grabstein. Wieder folgte ein andächtiges, kurzes Schweigen, dann wurde der Sarg versenkt und mit Erde bedeckt. Erleichterung machte sich in mir breit. Niemand hatte mehr den Deckel aufgemacht und noch in letzter Minute Wolframs Rollkragen heruntergestreift. Eine nach der anderen legten wir eine Blume auf den kleinen Hügel und wanderten schließlich langsam in Richtung Parkplatz. Dort trennte ich mich von Judith und ihren Begleiterinnen, die zurück in die Bibliothek mussten.
»Mein Bus kommt erst in einer halben Stunde. Darf ich mit Ihnen heimfahren? Steht später noch eine Trauerfeier mit Kaffee und Kuchen auf dem Programm?«, fragte mich Frau Altmann.
»Steigen Sie ein«, sagte ich. »Warum haben Sie sich nicht vorher gemeldet, ich hätte Sie doch schon auf der Hinfahrt mitnehmen können. Nein, es gibt auf Wunsch des Verstorbenen kein Brimborium, wie er sich ausdrückte, aber wenn Sie Lust haben, können Sie gern einen Kaffee mit mir trinken.«
Was hätte ich anderes sagen sollen, auch wenn mir etwas mulmig zumute war. Ich konnte ihr schlecht eine Abfuhr erteilen. Nun hoffte ich nur, dass sie sich in meiner Festung nicht als Trojanisches Pferd erwies.
»Ich bin immer noch etwas durcheinander«, meinte Frau Altmann. »So eine Musik habe ich noch nie bei einer Beerdigung gehört, aber bei Heinrich Böll soll ja eine ganze Kapelle von Zigeunern aufgespielt haben.«
»Sinti oder Roma«, verbesserte ich.
Frau Altmann wollte sich durchaus nicht auf der Terrasse niederlassen. Mein Haus samt Inventar war ihr anscheinend bestens vertraut.
»Wie oft haben Bernadette und ich hier geplaudert«, behauptete sie. »Und wie schön, dass ich endlich einmal wieder in diesem gemütlichen Wohnzimmer sitzen darf. Um ehrlich zu sein, nach dem traurigen Anlass freue ich mich so richtig auf eine schöne Tasse starken Kaffee.«
Eilig lief ich in die Küche, ließ aber die Türen offen. Auf diese Weise konnte ich mit anhören und -sehen, dass Frau Altmann keineswegs auf ihrem Platz blieb, sondern herumschlich und in den Bücherschrank, auf den Sekretär und in alle Ecken schaute. Gut, dass ich so ausgiebig geputzt hatte.
Als wir uns schließlich mit erhobenen Tassen zutranken, einen Keks knabberten sowie des Langen und Breiten über die vielen geparkten Autos in der Biberstraße geklagt hatten, begann Frau Altmann mich vorsichtig auszufragen.
»Sabrina Rössling hat mir unter Tränen anvertraut, dass sie bei der Erbschaft völlig übergangen wurde, stimmt das wirklich?«
»Nun…«, begann ich gedehnt und überlegte blitzschnell, wie ich glaubwürdig reagieren sollte. »Das tut mir natürlich leid, aber ich war sicherlich ebenso überrascht wie Frau Rössling selbst. Allerdings hatte Herr Kempner mehr als einmal erwähnt, dass er mit der Nichte seiner Frau kein gutes Verhältnis hatte, weil Sabrina immer wieder ihre gutmütige Tante um Geld gebeten habe, das in unsinnige Projekte geflossen sei. Insofern war es nur konsequent, dass seine Dankbarkeit nicht ihr, sondern mir galt.«
»Haben Sie etwa das ganze Vermögen geerbt?«, fragte sie mit heißen Ohren.
»Keineswegs, es wurde auch ein Heidelberger Hospiz bedacht. Und womöglich kommen noch Altlasten, Hypotheken und Schulden auf mich zu.«
»Werden Sie das Haus verkaufen? Die Erbschaftssteuer wird bestimmt recht hoch ausfallen, da Sie ja nicht zur Verwandtschaft zählen.«
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, ich zuckte zusammen. Zwar hatte ich keine Ahnung, welcher Steuersatz fällig wurde, doch schlimmstenfalls konnte er sich auf die Hälfte des Gesamtwertes belaufen. Dann konnte ich mir den Traum vom Eigenheim abschminken. Nur nichts anmerken lassen, war meine Devise, als ich diplomatisch auswich: »Da mir bis jetzt alles wie ein Märchen vorkommt, habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll. Vorerst muss ich eine Menge regeln,
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