Hab und Gier (German Edition)
mir so richtig bewusst, wie popelig und beklemmend es hier war – überhaupt kein Vergleich mit einem großen, freistehenden Haus. Auf keinen Fall wollte ich wieder in diesem Loch hausen. Soll die Qualle sich doch aufblähen, dachte ich, wir haben die besseren Karten! Die wird noch ihr blaues Wunder erleben! Und wie eine Umweltschützerin sah sie auch nicht gerade aus, eher wie die aufgedonnerte Gattin eines Aufsichtsratsvorsitzenden. Die sollte uns noch kennenlernen.
Um die Zeit zu nutzen, stopfte ich meinen größten Koffer voll mit Nachthemden, Unterwäsche, sommerlicher Kleidung und Sandalen, vergaß auch nicht meinen alten Strohhut und einen Badeanzug. Das schöne Wetter würde ich in meinem neuen Garten besser genießen als je zuvor. Auch eine Zitronenpresse und mein gewohntes Küchenmesser hatte ich vermisst. Der Terminkalender und mein Adressbüchlein sollten neben dem Telefon auf Wolframs Sekretär einen Stammplatz finden, der praktische Einkaufskorb und mein treuer Regenschirm würden von jetzt an im Kofferraum lagern. Und wo ich nun einmal dabei war, raffte ich noch eine Menge liebgewonnenen Kleinkram, Fotos, Bücher und Vasen zusammen. Erst nach drei Stunden fuhr ich wieder zurück, umkreiste vorsichtig die Biberstraße und hielt nach Sabrinas Auto Ausschau. Sie war tatsächlich nicht mehr da. Beruhigt konnte ich endlich aussteigen und meine Habe ins Haus tragen. Doch der ebenso unerwartete wie unerwünschte Besuch hatte mich so aufgeregt, dass ich unfähig war, mich erneut mit dem lästigen Bürokram zu befassen. Im Endeffekt habe ich an jenem Nachmittag nur den Inhalt des umgestoßenen Mülleimers wieder aufgesammelt, die schmutzigen Hundespuren beseitigt, mich an Judiths Süßkram vergriffen und den zaghaften Kampf mit den Brennnesseln schnell wieder aufgegeben.
Mit Verwunderung stellte ich fest, dass ich ungeduldig auf Judith wartete und mein Ärger über ihre gehässige Bemerkung völlig verpufft war. Schließlich war sie die Einzige, mit der ich über die Qualle sprechen konnte.
Judith reagierte nervös. »Sie wird das Testament anfechten«, befürchtete sie. »Mit Sicherheit ist sie der Meinung, dass sie zumindest das Haus erben wird. Doch im Augenblick können wir nur abwarten. – Weiß sie eigentlich, dass ich auch hier wohne?«
Schwer zu sagen. Schließlich wussten wir nicht, was Frau Altmann alles ausgeplaudert hatte. »Wir dürfen uns diese Nachbarin auf keinen Fall zur Feindin machen«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir sie mal auf einen Kaffee einladen…?«
»Die alte Tratschtante kann dich beobachten, wenn du im Garten herumpusselst«, sagte Judith. »Wer weiß, was sie für Schlüsse daraus zieht. Hattest du den Eindruck, dass sie und die Qualle ein Herz und eine Seele sind?«
»Kann ich nicht einschätzen«, sagte ich. »Die Altmann will mit jedem quatschen, der ihr vor die Flinte läuft. Hoffentlich hat sie nicht gesehen, dass ich allerhand Gepäck aus meiner früheren Wohnung mitgebracht habe.«
»Wo wohnt die Qualle eigentlich? Was hat sie für einen Wagen?«
»Einen teuren Schlitten, soweit ich das beurteilen kann. Amtliches Kennzeichen HP .«
»Dann wohnt sie irgendwo an der Bergstraße oder im Odenwald und hätte problemlos ihren kranken Onkel besuchen können…«
Nun hielt ich es endgültig nicht länger aus und zog meinen Trumpf, die rosa Karte, aus dem Ärmel. Judith las und machte große Augen.
»Die Qualle hatte ihre Tante aber gut im Griff! Dass sie jetzt leer ausgehen soll, ist bestimmt ein harter Schlag für die arme Kirchenmaus.«
»So sah sie nun wirklich nicht aus! Aber ich weiß sonst gar nichts über sie. Vielleicht hat sie einen reichen Mann, Burgen und Schlösser, Knechte und Mägde, weitere zehn Köter sowie sieben starke Söhne…«
»Das alles wird uns Frau Altmann leidenschaftlich gern erzählen«, sagte Judith. »Ich gehe mal den Müll raustragen.«
Mit Eimer und Besen bewaffnet ging sie auf die Straße hinaus; vom Flurfenster aus beobachtete ich die Szene. Frau Altmann ließ zwar etwas auf sich warten, so dass Judith wohl oder übel den Bürgersteig kehren musste, aber dann kam sie doch zum Vorschein, und schon fingen die beiden an zu schwatzen. Erst zwanzig Minuten später kam Judith ins Haus zurück.
»Leider musste ich ihr den Beerdigungstermin verraten, sie bestand darauf«, sagte sie. »Aber dafür weiß ich jetzt, dass die Qualle im Odenwald wohnt, in Wald-Michelbach. Sie ist etwa in meinem Alter, unverheiratet, hat aber einen Freund.
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