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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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belauschen?«
    »Im ersten Stock steht offenbar ein Computer. Gestern war dort so ein schwaches Licht, und davor die Silhouette einer Frau.«
    »Gut beobachtet«, lobte Judith. »An den Rechner müsste man rankommen. Die Qualle hat sicherlich alles abgespeichert.«
    »Ich kenne mich mit diesen Dingern nicht besonders gut aus«, sagte Cord. »Da müsste mir schon Karla helfen.«
    »Ich doch nicht«, protestierte ich erschrocken. Allein die Vorstellung, gemeinsam mit Cord wie ein Fassadenkletterer einzusteigen, um einen PC zu bedienen, verursachte mir Herzrasen.
    »Alles muss man selber machen«, seufzte Judith. »Im Gegensatz zu euch beiden bin ich berufstätig.«
    »Nicht mehr lange«, meinte Cord. »Wenn du erst reich bist, kannst du den ganzen Tag reiten, segeln und Tennis spielen.«
    Jaja, wie im Märchen, dachte ich. Da hackt sich die eine Tochter sogar die große Zehe ab, damit ihr Fuß in den goldenen Pantoffel passt. Und nur weil Aschenputtels Stiefmutter behauptet: Wenn du erst Königin bist, brauchst du nie mehr zu Fuß zu gehen… Was führten meine Mitbewohner wohl noch alles im Schilde? Wollten sie mir mein Erbe am Ende auch mit roher Gewalt abjagen? Allmählich bekam ich es mit der Angst zu tun.
    Als hätte Judith meine Gedanken gelesen, setzte sie eine betont heitere Miene auf und legte den Arm um mich.
     »Mach dir nicht gleich so einen Kopf, Karla. Es ist ein richtig warmer Sommerabend, und wir hocken hier herum und wälzen Probleme! Man lebt nur einmal und sollte das Hier und Jetzt genießen! Während Cord in den Odenwald fährt, könnten wir zwei doch gemütlich zum Marktplatz schlendern und uns einen Eisbecher oder Prosecco gönnen!«
    Das war eine gute Idee. Der historische Marktplatz unseres Städtchens passt sich der natürlichen Geländeform an und ist von der Laurentius-Kirche bis hinunter zur Löwen-Apotheke etwas abschüssig. An schönen Tagen sind die Tische der Cafés und Restaurants fast alle besetzt, am Wochenende ist oft kein Platz mehr zu bekommen. Touristen und Besucher aus der näheren Umgebung fallen hier ein, aber auch die Einheimischen lassen sich gerne unter japanischen Schnurbäumen und großen Schirmen nieder und genießen den Blick auf Fachwerkhäuser und andere Gäste. Hier erfasst jeden ein schwereloses Urlaubsgefühl, beinahe wie in der Toskana.
    Judiths Vorschlag war genial. Von unserem neuen Domizil waren es nur wenige Minuten zu Fuß bis zur Altstadt. In den Wirtschaften, die Wein ausschenkten, war leider alles besetzt, aber beim italienischen Eislokal hatten wir Glück. Meine bösen Vorahnungen waren schnell vergessen, ich fühlte mich von einem Augenblick zum anderen lockerer und fröhlicher und beschloss, von nun an öfter hierherzukommen, ob mit oder ohne Begleitung.
    Ehe ich mich versah, war ich wieder allein, denn Judith sprang plötzlich auf, winkte heftig in die Ferne und sagte, sie habe einen ehemaligen Klassenkameraden gesichtet. Und schon war sie auf und davon, um ihn zu begrüßen.
    Ich löffelte meinen Schwarzwald-Becher aus, schließlich auch Judiths schmelzendes Mango-Eis und beobachtete die vielen jungen Leute, die sich auf engstem Raum zusammendrängten, aßen, tranken, lachten und unentwegt laut redeten. Kinderwagen und Rollstühle versperrten die engen Passagen zwischen den Stühlen, sogar winzige Knirpse waren wie in südlichen Ländern noch mit von der Partie und huschten wie quirlige Fledermäuse herum. Zwei Weißhaarige am Nachbartisch tranken Schorle und schimpften über die heutige Jugend. Mehrmals hörte ich den Alten räsonieren: »Frieher hot’s des net gewwe!«, und seine Frau erwiderte jedes Mal: »Maanste?«
    In diesem Moment schlängelte sich ein Pärchen auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit durch die Reihen, beide trugen einen Motorradhelm unterm Arm. Noch bevor sie mich entdecken konnte, hatte ich die Qualle erkannt. Ich duckte mich weg, bis die beiden an mir vorbeigelaufen waren. Dann spähte ich hinter ihnen her. Der Mann war blond, schlank und groß, aber ich konnte seine angebliche Schönheit leider nur noch von hinten begutachten. Da sie partout keinen Platz fanden, ließen sie sich mehr schlecht als recht auf den Stufen des Brunnens nieder, vorläufig immer noch mit dem Rücken zu mir.
    Wann kam Judith endlich wieder zurück? Ich saß wie auf heißen Kohlen. Und wenn die Qualle mir erneut in aller Öffentlichkeit eine Szene machte? Zu guter Letzt vibrierte mein Handy, und Judith fragte, ob ich nicht zu ihnen an den Tisch

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