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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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kommen wolle.
    »Bin schon auf dem Heimweg!«, brüllte ich, nicht nur wegen des schlechten Empfangs, sondern auch, weil ich mich ganz schön von ihr verschaukelt fühlte. »Übrigens ist die Qualle aufgetaucht. Wenn du ihren Adonis sehen willst, solltest du deinen Verehrer mal kurz im Stich lassen und dich am Brunnen umsehen, sie warten dort auf einen freien Platz…«
    »Perfekt«, sagte Judith. »Dann werde ich jetzt Cord anrufen. Er soll wissen, dass die Luft rein ist!«

18
    Der Mörder ist immer der Gärtner
    Nach einem kurzen, aber einsamen Heimweg lag ich endlich im Bett, noch etwas aufgekratzt und trotzdem müde. Erst gegen zwei Uhr schlief ich ein, weil ich mich fragte, was Judith in all der Zeit wohl trieb. Immerhin war Cord schon länger wieder zurück, was mich diesmal beinahe beruhigte. So konnte er wenigstens keinen Unfug treiben. Ein grässliches Nachtgespenst weckte mich gegen fünf, ein Traum, der mich so ähnlich schon kurz nach Wolframs Tod gequält hatte. Meistens waren meine Träume verworren, doch seit ich in diesem Haus schlief, waren meine Ängste leicht zu deuten. Mir träumte, der Leitwolf sei tot, und ich hätte die Rolle der Alpha-Wölfin übernommen und fette Beute gemacht. Doch noch bevor ich mich daran satt essen konnte, wurde ich von jüngeren Mitgliedern des Rudels halb totgehetzt. Ich lief und lief – aber wie es mit Alpträumen so ist, bevor es zum Äußersten kommt, wird man wach und ist am nächsten Tag schlecht gelaunt.
    So war es auch an jenem Donnerstag, als ich übernächtigt und verdrossen einen starken Kaffee trank und durchs Küchenfenster einen Mann im Garten erspähte. Hörte der Alp denn niemals auf? Was musste mich dieser Kerl ständig zu Tode erschrecken? An der Hecke gab es nicht mehr viel zu schneiden, bestimmt hatte er jetzt vor, die Bäume zu massakrieren. Ich beobachtete, wie er eine große Klappleiter aus dem Schuppen schleifte, zum Kirschbaum schleppte, in voller Höhe ausfuhr und anlegte. Bei uns an der sonnigen Bergstraße, von den Römern bereits Via Montana getauft, blühen die Bäume und reift das Obst früher als im übrigen Deutschland. Amseln und Stare hatten die Früchte längst abgeerntet, nur noch ein paar schimmelige Hutzeln hingen an den Zweigen.
    Gemächlich kappte er die toten Äste, nahm ein verwittertes Vogelhäuschen ab und ruhte nicht, bis er die Höhe des Scheiterhaufens verdoppelt hatte. Eine kranke Kiefer war das nächste Opfer. Misstrauisch beobachtete ich, wie sich Cord beim Absägen der dicken Äste etappenweise von unten nach oben vorarbeitete und schließlich beim fast nackten Stamm in umgekehrter Reihenfolge verfuhr. Er ruhte nicht, bis er selbst von Kopf bis Fuß mit Sägespänen bedeckt war sowie große Teile der Terrasse. Um zehn Uhr, als auch der letzte Anwohner wach sein musste, vollendete er sein mörderisches Werk. Der große Baum lag in kleinen Stücken am Boden.
    Zufrieden mit sich und der Welt kam Cord in die Küche gestapft und meinte nur: »Freie Sicht aufs Mittelmeer!«
    Es war tatsächlich ein Wunder geschehen. Das Näh- und Bastelzimmer war hell und freundlich geworden, die Sonne schien herein, und man blickte weit ins hügelige Land hinaus bis zu Weinheims Wahrzeichen, den beiden Burgen. Ich bekam plötzlich große Lust, diesen schönen, großen Raum auszumisten und zu meiner privaten Bibliothek umzugestalten. Bis auf die Glasvitrine, die ich als Bücherschrank nutzen konnte, würde ich Bernadettes gesamten Krempel auf den Speicher schaffen.
    Knarrende Stiefel rissen mich aus meinen Gedanken, Cord war mir gefolgt. »Und?«, meinte er nur.
    »Großes Kompliment«, beeilte ich mich, ihn zu loben. »Für dieses Resultat wische ich sogar gern das Sägemehl wieder auf. – Aber sag, was ist mit der Qualle?«
    »Judith hat mir zwar gesteckt, dass die Qualle mit ihrem Typ am Marktplatz abhing, aber ich bin trotzdem nicht eingebrochen, weil ihr es mir ja verboten habt. Doch immerhin habe ich ihr einen kleinen Denkzettel verpasst.«
    »Denkzettel? Inwiefern?«, fragte ich mit einer leichten Gänsehaut an den Oberarmen.
    »Wahrscheinlich hat es sowieso nicht geklappt«, sagte er. »Warten wir mal ab!«
    »Was sollen wir abwarten?« Ich wurde hellhörig.
    »Wenn ich etwas hasse, dann sind es Angeberautos«, meinte Cord. Und mit diesen sibyllinischen Worten ging er wieder hinaus und knöpfte sich als Nächstes eine dürre Fichte vor.
    Nun, falls er ihnen den Porsche zerkratzt hatte, wollte ich lieber gar nichts davon wissen.

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