Hab und Gier (German Edition)
ein.
»Damals war man noch nicht so weit, diese Methoden wurden noch nicht serienweise angewandt.«
Mir wurde immer mulmiger zumute. Offenbar waren meine Hausgenossen nicht nur Kleinkriminelle, sondern Verbrecher. Mein Instinkt hatte leider überhaupt nicht funktioniert, denn ich hatte mir Judith zur Freundin erkoren. Und Cord war mir in der letzten Zeit immer sympathischer geworden.
Mitten in meine Gedanken hinein murmelte Cord: »Ich weiß überhaupt nicht, warum ich dir das alles erzähle, bis jetzt hatte ich noch nie so viel Vertrauen zu einem anderen Menschen. Aber du bist gut zu meinen Kindern und auch zu Bellablock, das hatte ich nicht erwartet.«
Offenbar hatte ich ein Talent zur Beichtmutter! Bereits Wolfram hatte mir seine geheimsten Sünden gestanden. Schon verrückt, wie das Schicksal der beiden Männer sich ähnelte. Beide zappelten sie im Netz der Spinne. Und ich selbst? Erging es mir denn so viel anders? Zog Judith nicht auch in unserer Freundschaft die Fäden, ohne dass ich mir dessen so recht bewusst gewesen war? Fragte sich nur, wie ich mich befreien konnte, bevor mich die Spinne gefressen hatte.
Als habe er meine Gedanken gelesen, verschwand Cord in seinem Zimmer und kam bald darauf mit einem kleinen Gegenstand in der Faust zurück.
»Was machen die Kinder?«, fragte ich.
»Die schauen wieder eine Sendung mit der Maus. Bella leistet ihnen Gesellschaft. – Ich wollte dich bitten, dieses Fläschchen so zu verstecken, dass es Judith auf keinen Fall finden kann.«
»Warum? Was ist da drin? Arsen? Strychnin?«
»So etwas Ähnliches. Judith hatte mir vor einiger Zeit aufgetragen, K.o.-Tropfen zu besorgen. Ich will nicht, dass sie in Reichweite der Kinder sind.«
»Wofür waren die Tropfen denn gedacht?«, fragte ich mit einer bangen Ahnung.
»Weiß ich nicht, aber sicher nicht für einen guten Zweck«, brummte Cord. »Am Ende kommt Judith noch auf die Idee, ein paar Spritzer in den Kinder-Kakao zu tun.«
»Um Gottes willen!«
Die Kinder seien ihr von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen.
Ich schüttelte fassungslos den Kopf und meinte, am besten wäre es, das Teufelselixier in den Ausguss zu kippen.
»Dafür sind K.o . -Tropfen zu teuer«, sagte Cord. »Man weiß ja nie, wofür sie mal gut sind. Notfalls kann ich sie auch wieder verkaufen.«
»Judith wird es doch auffallen, wenn das Zeug nicht mehr an seinem Platz steht…«
»So dumm, wie ihr denkt, bin ich nicht«, sagte Cord. »Ist doch klar, dass ich die Tropfen ausgetauscht habe. Die rote Originalpulle steht immer noch an Ort und Stelle, allerdings ist nur Wasser drin.«
Nachdenklich betrachtete ich ihn. Es war so oder so keine schlechte Idee, die Tropfen zu beschlagnahmen. Wer weiß, vielleicht musste ich womöglich meinen fleißigen Hausgenossen eines Tages ruhigstellen – konnte ja sein, er bekam einen Koller wie damals bei seinem Stiefvater. Schließlich war ich hier die Köchin und damit Herrin über Gewürze und Zutaten, ein paar Tropfen in Kaffee oder Suppe konnten Wunder wirken.
Ich drehte die Verschlusskappe des Fläschchens auf und roch an der klaren Flüssigkeit, leckte sogar ein wenig am Rand. Falls es sich wirklich um eine gefährliche Substanz handelte, dann konnte man das weder sehen noch riechen, ja nicht einmal schmecken. Ich musste mir ein geheimes Versteck ausdenken, auf das niemand kommen konnte. Nach kurzem Überlegen verbarg ich die kleine Flasche im Bücherschrank hinter Gottfried Kellers Der Grüne Heinrich ; Judith würde diesen wunderbaren Roman niemals zur Hand nehmen, und Cord erst recht nicht.
Leider war in meiner Villa schon so viel geschehen, dass es nichts schadete, wenn man stets mit dem Schlimmsten rechnete und allzeit gewappnet war. Als ich wieder am Küchentisch saß, fragte ich etwas takt- und zusammenhanglos: »Haben wir eigentlich einen Feuerlöscher im Haus?«
Cord zuckte zusammen, warf mir einen weidwunden Blick zu und sagte, er müsse jetzt nach seinen Kindern schauen. Später, als ich im Keller Wäsche aus dem Trockner nahm, suchte und fand ich einen knallroten Gegenstand, der die Form einer dicken, überlangen Thermoskanne hatte. Ziemlich alt und wahrscheinlich längst nicht mehr funktionsfähig, dachte ich, aber für einen kräftigen Schlag wohl immer noch tauglich. Doch bestimmt, beruhigte ich mich, war dieses Exemplar noch nie benutzt worden.
Noch bevor ich Judith zum Essen erwartete, servierte ich den Kindern Arme Ritter mit heißen Kirschen und einem Klecks Eis. Sie waren
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