Hab und Gier (German Edition)
Hund die Ankunft seines Herrn ankündigte. Cord kam herein, die Zwillinge an der Hand.
»Kommt gar nicht in Frage«, fuhr Judith ihn an. »Wir haben ausgemacht, dass die Brut nicht hier –«
»Ich musste doch Karlas Wagen zurückbringen«, sagte Cord. »Was blieb mir anderes übrig, ich kann die Kinder doch nicht alleinlassen…«
»Das ist dein Problem!«, sagte Judith scharf.
Mir taten die Kleinen leid. »Kommt, setzt euch erst mal hin«, sagte ich zu Paul und Lilli. »Wollt ihr Kakao oder lieber Apfelschorle? Ich mache euch ein paar Bratkartoffeln.«
Während ich am Herd stand, wechselten Judith und Cord böse Blicke und verließen abrupt die Küche. Ich hörte sie in der Diele laut miteinander streiten.
»Was hat die Mama eigentlich?«, fragte Lilli.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Aber sicher kommt sie bald wieder nach Hause. Bis dahin dürft ihr ruhig hierbleiben.«
»Morgen müssen wir aber in die Schule«, sagte Paul. »Wir haben heute nicht mal unsere Hausaufgaben gemacht.«
»Die böse Frau will nicht, dass wir hier sind«, sagte Lilli. »Aber das darf sie gar nicht verbieten, dieses Haus gehört doch auch dem Papa, nicht wahr?«
Ich schluckte. Plötzlich wurde es still im Flur, und ich hörte Judith die Treppe hinaufstürmen. Cord kam wieder herein, setzte sich zwischen seine Brut und tätschelte beiden beruhigend den Rücken; er machte dabei ein ziemlich verzweifeltes Gesicht. Nach dem Essen brachte er die Kinder in sein Zimmer und steckte eine CD-ROM in Wolframs Computer, den er sich unter den Nagel gerissen hatte.
»Die Sendung mit der Maus«, erklärte er, als er wieder in der Küche saß.
»Was ist mit Natalie?«, fragte ich.
»Sie war schon immer viel zu dünn«, sagte er. »Es heißt Anoichweißnichtwas…«
»Anorexia nervosa«, sagte ich.
»Am liebsten würde ich Paul und Lilli zu mir nehmen«, klagte Cord. »Aber ich bin ja ein Versager.«
»Nein, bist du nicht. An dir ist ein Gärtner, ein Hausmeister, ein Elektriker und ein Anstreicher verlorengegangen«, sagte ich. Dann sah ich, dass er weinte, schon den heulenden Wolf hatte ich kaum ertragen können. Schnell ein anderes Thema, dachte ich.
»Schaffst du es, im ersten Stock eine Trennwand so einzubauen, dass man meine Wohnung abschließen kann?«, fragte ich, und Cord überlegte eine Weile.
»Das geht bestimmt, die Villa wurde ja als Dreifamilienhaus geplant. Wird aber nicht ganz billig«, meinte er und ging dann zurück zu seinen Kindern.
22
Der Feuerlöscher
Am nächsten Morgen waren Paul und Lilli krank, eine fiebrige Erkältung, nichts Besonderes, aber doch ein triftiger Grund, nicht zur Schule zu müssen.
»Das wird Judith nicht recht sein«, vermutete ich. Anscheinend hatte Cord noch keine Minute daran gedacht, die Kinder in Natalies winzige Wohnung zurückzubringen und auch selbst dortzubleiben.
»Auf keinen Fall, das halte ich nicht aus, da kriege ich Platzangst«, sagte er. »Aber ich muss Natalie unbedingt Nachthemden und Waschzeug bringen. Außerdem will ich wissen, ob man sie länger als zwei Tage im Krankenhaus behalten muss.«
Er überließ mir die Patienten, versprach, auf der Heimfahrt ein fiebersenkendes Mittel zu besorgen, und startete zum Mannheimer Klinikum. Zum Glück hatte Judith das Haus verlassen, ohne von unserem Krankenlager etwas zu ahnen.
Neugierig befragte ich die Zwillinge, ob ihre Mutter zu Hause bleibe, wenn sie krank wurden.
»Früher kam dann die Oma, aber jetzt dürfen wir gar nicht krank werden, sonst verliert die Mama ihren Job«, sagte Lilli.
»Die Oma kann man nicht mehr holen, denn die ist gaga«, sagte Paul, und beide kicherten.
»Euer Papa hat doch sicherlich auch eine Mutter und einen Vater, wo wohnen denn die anderen Großeltern?«
Sie kannten nur die Gaga-Oma, saßen in Decken gehüllt auf dem Sofa, bohrten das Thermometer in Blutbarbies und Satansbärles Hintern, tranken heißen Kakao und schienen zu genießen, dass sie nicht in die Schule mussten. Als das Fieber am Nachmittag anstieg, schlüpften sie wieder freiwillig in Bernadettes großes schweres Lotterbett und ließen sich mit einer CD aus Wolframs Sammlung mit fröhlichen Gospels und schwermütigen Spirituals einlullen.
Etwas später kam auch Cord zurück. Natalie werde künstlich ernährt, berichtete er. Wenn sich ihr Zustand stabilisiert habe, müsse man sie aber in das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit überweisen. Niemand könne sagen, für wie lange. Er machte einen deprimierten Eindruck.
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