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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Erbschaftssteuer oder die benötigten finanziellen Mittel angesprochen hatte. Doch das war noch nicht alles: Unter vielen belanglosen Briefen, alten Terminkalendern und Rechnungen entdeckte ich eine weitere Kopie – es war einer meiner Testamentsentwürfe!
    Sorgfältig legte ich alle Indizien wieder an ihren Platz zurück. Judith sollte keinen Verdacht schöpfen. Mit zitternden Händen schloss ich ab, verließ den Ort des Verrats und kochte mir erst einmal einen Kräutertee. Ich brauchte einen klaren Kopf. Der gezeichnete Plan konnte auch alt sein. Und mit meinem Testamentsentwurf konnte sie nicht allzu viel anfangen, denn er enthielt bereits die bewusste Klausel. Niemals würde Judith eine so geniale Fälscherin wie ich, die man durchaus mit meinen männlichen Kollegen Konrad Kujau, Lothar Malskat oder Wolfgang Beltracchi vergleichen konnte. Judiths damalige Versuche, Wolframs Schrift nachzuahmen, waren mehr als kläglich ausgefallen. An meiner schwungvollen Schreibweise würde sie mit Sicherheit erst recht scheitern.
    Viel schlimmer war allerdings, dass sie anscheinend systematisch meine Post kontrollierte und über meine finanziellen Transaktionen bestens im Bilde war. Zweifellos wäre mir diese Erbschaft ohne ihre Unterstützung niemals zugefallen, aber sie und auch Cord gingen ja nicht leer aus. Sie zahlten weder Miete noch Stromrechnung, weder Abfallgebühren noch den Schornsteinfeger und wurden Tag für Tag von mir bekocht, ohne dass sie einen Cent dafür ausgeben mussten. Judith konnte ihr Gehalt verjubeln, gerade erst gestern kam sie mit sündhaft teuren Highheels nach Hause. Cord hatte ein Dach über dem Kopf, ein Auto zur Verfügung, eine warme Mahlzeit am Tag und Arbeit, die ihm ganz offensichtlich Spaß machte. Wenn er Material einkaufte, überließ ich ihm einen ansehnlichen Betrag, ohne jemals nachzurechnen. War das nicht mehr als genug? Doch auch wenn ich das Spionieren meiner Mitbewohner unverschämt fand, konnte ich die beiden nicht einfach vor die Tür setzen. Sie wussten zu viel. Wir saßen uns nicht nur auf der Pelle, sondern auch im selben Boot.
    Doch es gab auch die angenehme Seite einer Wohngemeinschaft, das gemeinsame Essen. An vielen Abenden war es vergnügt und heiter zugegangen, ich hatte jahrelang nicht mehr so viel gelacht, ganz zu schweigen davon, dass man meine Kochkünste regelmäßig lobte und ich mich zum ersten Mal im Leben als unentbehrliche Familienmutter und Ernährerin fühlen konnte. In meinem Alter konnte ich jederzeit blind, taub oder gehbehindert werden. Es war ein enormer Vorteil, wenn man dann nicht ganz auf sich gestellt war. Nicht zuletzt hatte ich mich an den anhänglichen Hund gewöhnt, der zwar Cord als Herrn ansah, aber auch mir treu ergeben war.
    Hin und her gerissen, wie ich war, stiegen mir Tränen in die Augen. Immerhin war Judith jahrelang meine Freundin gewesen, ohne sie wäre mein Berufsleben ziemlich langweilig ausgefallen. Mit ihr konnte ich herumalbern, auf sie hatte ich mich immer verlassen. Sollte es wirklich wahr sein, dass sie mir nach dem Leben trachtete, dass sie nur scharf auf meinen Besitz war, dass ich mich völlig in ihr getäuscht hatte? Wenn ich den Zug um ihren Mund bislang für lausbübisch gehalten hatte, so musste ich mein Urteil offenbar revidieren: Aus Judith war Judas geworden, und Cord war ihr Henkersknecht. Mir fiel ein alter Schlager ein: Oh, ich will betteln, ich will stehlen, damit du glücklich bist! Das Lied war falsch, ich will morden, müsste es heißen.
    Mein Herz verlangte nach Zuneigung und Lebensfreude, mein Kopf warnte mich vor allzu großer Blauäugigkeit. Es mochte ja wunderbar sein, in einem schönen Haus mit Garten zu wohnen, doch nun wurde der Besitz zur Gefahr.
    Stürmisches Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Bella sauste herein, Cord tauchte mit rotem Kopf hinter ihr auf und wirkte völlig von der Rolle: »Brauchst du den Wagen? Ich muss sofort losfahren, es ist dringend…«
    »Ist was passiert?«, fragte ich.
    »Natalie…«, stotterte er.
    Schließlich berichtete er hastig, dass die Mutter seiner Kinder während ihrer Arbeit im Supermarkt zusammengebrochen sei. Natalies Wohnungsnachbarin habe ihn gerade benachrichtigt, dass sie Lilli und Paul frierend und weinend vor der Haustür angetroffen und beide zu sich genommen habe. Daraufhin habe sie beim Supermarkt angerufen und erfahren, dass Natalie ins Krankenhaus gebracht worden sei. Und schon brauste Cord davon.
    Judith und ich aßen bereits zu Abend, als der

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