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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Überdies hatte ihm eine Krankenschwester Vorwürfe gemacht, weil die Patientin in einem derart reduzierten Zustand noch gearbeitet habe, es sei ein Wunder, dass sie nicht schon viel früher zusammengeklappt sei. Cord grinste unwillkürlich, während er die Schwester zitierte: »Der arme Fraa kamer ja e Vadderunser durch die Backe blase!«
    Der fürsorgliche Papa hatte Medikamente, Spielzeug, Schulsachen und Kleidung für seine Kinder mitgebracht. Nachdem sie verarztet waren und sich wieder vor den Computer gelümmelt hatten, befragte ich Cord nach seinen eigenen Eltern. Es war eine tragische Geschichte: Von klein auf hatte ihn sein Stiefvater geschlagen, mehrmals sogar missbraucht und ständig gedemütigt. Als Cord in jungen Jahren mit dem Gesetz in Konflikt kam, hatte er ihn verstoßen. Seine Mutter lebte mittlerweile auf Mallorca und wollte nichts mehr mit ihrer schweren Vergangenheit zu tun haben, so dass sie kaum mehr Kontakt hatte zu ihrem Sohn. Was für ein Elend!, dachte ich, aber wie erfreulich, dass die Zwillinge trotzdem ganz gut geraten sind.
    »Warum hat Judith eigentlich solche Aggressionen gegen Natalie und deine Kinder?«, fragte ich.
    »Eifersucht. Ich soll ihr mit Haut und Haaren gehören«, sagte Cord. »Aber bei den Kindern lasse ich mir nicht reinreden…«
    »Eifersucht? Ich dachte, mit Natalie ist es schon lange aus, und Judith und du seid auch kein Liebespaar mehr«, wandte ich ein.
    »Irgendwie nicht und irgendwie doch«, murmelte er kryptisch.
    Bevor ich nachhaken konnte, schlug der Hund an, dann klingelte es auch schon, und Cord ging öffnen.
    Ich hörte Frau Altmann neugierig fragen, ob die Kinder wieder zu Besuch seien. Gestern habe sie das süße Zwillingspärchen im Garten bemerkt. Im vergangenen Sommer habe sie so viele Kirschen geerntet und eingefroren, dass sie gar nicht mehr wisse, wohin damit. Ob wir die Kinder nicht mit Vanille-Eis und heißer Kirschsoße überraschen möchten? Der gutmütige Cord führte die geschwätzige Frau Nachbarin herein.
    Frau Altmann hatte eine neue silberne Haarfarbe. Lange blieb ihr Blick an Bernadettes Sammeltassen hängen. Für ihr Leben gern hätte sie uns wohl über alle Details unserer Hausgemeinschaft ausgehorcht. Ungefragt ließ sie sich am Esstisch nieder, streichelte den Hund und meinte, wir sollten sie nicht länger an der Nase herumführen, sie habe längst begriffen, dass es niemand anderes sei als Bellablock, der Retriever von Sabrina.
    Dann stellte sie zwei Tupperdosen mit eingefrorenen Kirschen auf die Anrichte und strahlte, als sie von der Erkrankung der Zwillinge erfuhr. Da habe sie doch regelrecht eine Eingebung gehabt, Kirschen seien eine gute Krankendiät. Sie selbst warte schon lange auf eigene Enkelkinder, ihre Söhne seien Spätzünder. Cord und ich blieben schweigsam, bis sie endlich wieder ging.
    An der Haustür hörte ich Frau Altmann noch sagen: »Junger Mann, ich könnte Ihre Hilfe gut brauchen, nächste Woche ist Sperrmüll, und ein schwerer Ohrensessel müsste auf die Straße getragen werden. Es soll nicht zu Ihrem Schaden sein!«
    Cords Antwort war zu leise, als dass ich sie hätte verstehen können, doch ich konnte sie mir denken.
    Er kam etwas unwillig wieder herein.
    »Jetzt könntest du dich ärgern, bist aber nicht dazu verpflichtet«, zitierte ich einen Lieblingsspruch meines Bruders. »Du lässt aber auch wirklich alles mit dir machen! Gerade wollte ich dich fragen, wieso du dich von Judith derartig vereinnahmen lässt…«
    Cord schwieg, überlegte, ging schließlich in sein Zimmer, und ich hörte ihn in seinen Siebensachen kramen. Er kam mit einem zerknitterten, nur noch schlecht lesbaren Zeitungsausschnitt zurück, den er mir wortlos überreichte. Ich las:
    …ihm wurde mit einem groflen Feuerlöscher der Kopf zertrümmert. Hermann G. starb an zentraler Lähmung durch ein Schädeltrauma. Als man ihn anderntags in seiner Garage fand, lag er auf dem Rücken in einer Lache aus Blut und ätzendem Schaum. Noch im Tod hielt er ein scharfes Steakmesser umklammert…
    Verständnislos schaute ich ihn an.
    »Dieser Hermann G. war mein Stiefvater und hat auch meine Mutter immer wieder misshandelt«, sagte Cord. »Judith hat mir ein wasserdichtes Alibi verschafft. Vielleicht hätte ich besser alles gestehen sollen, denn es handelte sich um Notwehr. Deswegen bin ich Judith seit vielen Jahren ausgeliefert.«
    »Aber was nützte das beste Alibi, wenn es Fingerabdrücke, DNA -Spuren oder andere Indizien gab?«, wandte ich

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