Habgier: Roman (German Edition)
behandelt zu werden. Und ich möchte Sie jetzt bitten zu gehen, falls nichts dagegenspricht. Ich brauche ein bisschen Zeit für mich... und fürs Aufräumen.«
»Natürlich.« Decker gewährte Dresden ein schwaches Lächeln. »Übrigens habe ich Ihren Anwalt nirgends gesehen.«
»Weil ich ihn nicht angerufen habe. Warum sollte ich Geld zum Fenster rausschmeißen, er hätte doch sowieso nur Däumchen gedreht und Ihnen bei der Arbeit zugeguckt. Ich wusste, dass ich ihn nicht brauche, denn ich habe nichts zu verbergen.«
Sie quetschten sich in das zivile Polizeiauto, da Oliver sie zur Dienststelle zurückfahren würde, wo jeder sein eigenes Auto stehen hatte. Marge saß vorne.
»Hat dieser Widerling tatsächlich nichts mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun? Viele Männer gehen fremd, und die meisten bringen ihre Frauen nicht um.«
»Ja ja, so weit, so gut. Aber fast alle Männer, die ihre Frauen umbringen, haben eine Geliebte.« Für einen Moment schwiegen sie. Dann blickte Marge über ihre Schulter nach hinten zu Decker. »Was glaubst du, Loo?«
»Keine Ahnung. Schmierig genug wirkte er. Vielleicht starb Roseanne bei dem Absturz. Und genauso möglich ist es, dass sie sonstwo umgebracht wurde.«
»Selbst wenn sie sonstwo ermordet wurde, schließt das Dresden als Täter nicht aus«, gab Marge zu bedenken.
»Oder aber er ist einfach unschuldig«, insistierte Oliver. »Vielleicht war das Handy, das wir gesehen haben, Roseannes alter, verloren gegangener Apparat. Vielleicht hat sie sich wieder genau das gleiche gekauft.«
»Und warum erzählt uns Ivan das nicht?«
»Weil er wusste, dass ihn das Auffinden des Handys schlecht aussehen lassen würde.«
»Nur halb so schlecht wie das Wegwerfen«, erwiderte Marge. »Das ist quasi ein Schuldbekenntnis.«
»Wenn es Ivan war und wenn das Apartment nicht der Tatort ist – wo sonst könnte er es getan haben?«, fragte Decker.
Marge zuckte mit den Achseln. »Vielleicht in seinem Auto? Vielleicht ist das der Grund, warum er es verkauft hat.«
»An wen hat er es verkauft?« Als niemand diese Frage beantwortete, fügte Decker hinzu: »Sollten wir das nicht herausfinden?«
Die wichtigste Teile-Manufaktur von Katumi Motors hatte ihren Sitz in einem weißen, rechteckigen Gebäude aus Betonziegeln im Herzen des nördlichen Valleys. Vor der Fabrik war eine Rasenfläche angelegt worden, in deren Mitte das Wort KATUMI in weißen Petunien prangte. Das Gewerbegebiet beherbergte alle möglichen Betriebe mit Hinterhöfen voller Marmor, Granit, Stein oder Holz. Decker kam oft wegen der Großhandelspreise hierher, wenn er wieder mal zu Hause renovierte, und mit jedem Jahr schien sich die Gegend zu verschlechtern. Heute hingen Regenwolken am Sonntagshimmel, und Schwermut lag in der trüben dunstigen Luft. Das schlechte Wetter und das Fehlen jeglichen Grünzeugs ließen dieses Viertel wie eine alte, heruntergekommene Arbeitersiedlung aussehen.
Nachdem er die Zentrale von Katumi Motors betreten hatte, wurde er in den zweiten Stock gebracht und dort Brian Alderweiss vorgestellt, einem etwa dreißigjährigen Techniker im Laborkittel, der der unangefochtene Herrscher über Katumis Rapid-Prototyping-Verfahren war. Die monumentale Maschine beanspruchte den größten Teil des Raumes, an fast allen Wänden flankiert von Computern, Monitoren und nicht identifizierbaren Geräten. Brian und sein Assistent brauchten eine Weile, um die CT-Bilder zu laden und diese dann auf den Laserarm der Maschine abzustimmen. Während er alles vorbereitete, sagte er: »Die wichtigsten Daten sind die, mit denen wir dem Laserstrahl sagen, welche Partie des Bildes er ausschneiden soll. Wenn wir das vermasseln, kriegen wir das gewünschte Modell nie und nimmer geliefert.«
»Lassen Sie sich Zeit«, meinte Decker großzügig. Stunden später waren die Techniker immer noch mit den Feineinstellungen beschäftigt, und Decker bereute seine hingeworfene Bemerkung von vorhin, auch wenn es herzlich wenig gab, was er an der Situation ändern könnte. Außerdem ging es heute nicht um ihn, sondern darum, unbekannten trauernden Eltern einen Leichnam zu geben, den sie zu Grabe tragen konnten.
Als die Programmierung beendet war, tat ein Präzisionslaser erfreulicherweise genau, wie ihm befohlen, und schnitt durch papierdünnes Schichtholz, wobei sich ein Blatt über das nächste stapelte.
»Unser System«, sagte Alderweiss, »übernimmt unsere virtuellen Entwürfe von unseren Computern und verwandelt sie in
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