Habgier: Roman (German Edition)

ein.«

27
     
    Lauren Decanter betrachtete die aus Papier zusammengefügte Kopie des Schädels auf einem Sockel, den sie langsam drehte, und studierte Jane Doe Zentimeter für Zentimeter, so dass der Schädel eine volle Kreisbewegung vollführte. »Wirklich unglaublich!« Sie blickte bewundernd zu Decker auf. »Der ist so gut wie echt. Man sieht alle notwendigen anatomischen Marker und noch ein paar Feinheiten mehr.«
    »Ein Wunder der modernen Technik«, sagte Decker, »die aber nicht für ihren Tod verantwortlich ist.«
    Lauren berührte den Schädel mit der Hand. »Ein altmodischer Schlag auf den Kopf.« Sie blickte wieder zu Decker. »Was können Sie mir über den Fall sagen, Lieutenant?«
    »Anhand der erhaltenen Zähne in Ober- und Unterkiefer glauben sowohl der Coroner als auch der forensische Odontologe, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes Anfang zwanzig war. Ihre Weisheitszähne waren angelegt, die Wurzeln erkennbar, aber die Wurzelspitzen noch offen. Wir wissen außerdem, dass sie 1974 oder später zu Tode kam, denn sie trug eine mit dem Logo einer Band bedruckte Jacke, die 1974 hergestellt wurde.«
    »Welche Band?«
    » Priscilla and the Major .«
    Lauren dachte genau nach. »Nein, von denen hab ich noch nie was gehört.«
    »Ein Duo. Der Major war ursprünglich tatsächlich Soldat gewesen, ich glaube, sogar in Vietnam. Aber die Hauptattraktion war Priscilla. Sie schrieb die Songs und sang. Im Gegensatz zu dem seinerzeit angesagten Acid-Rock und der psychodelischen Musik wirkten sie ein bisschen vertrottelt, wie ein Rückschritt in die guten alten Zeiten.«
    Lauren machte sich Notizen. »Hm, Priscilla and the Major. Ich würde mal davon ausgehen, dass das Duo eher konservative Fans hatte, wenn der Mann beim Militär war.«
    »Ganz bestimmt war die Armee damals nicht sonderlich beliebt, also ja, bestimmt war ihr Gefolge eher konservativ. Aber sie hatten einige Top-40-Hits, und ihre Lieder wurden von allen wichtigen Radiosendern gespielt. Ihre Fangemeinde war groß. Wenn ich sie mit einer Band aus der Zeit vergleichen müsste, fielen mir zuerst die Carpenters ein. Kennen Sie die?«
    »Er spielte Gitarre, und sie saß am Schlagzeug. Und sie starb an Magersucht, oder?«
    »Genau, aber damals war niemandem klar, dass sie Probleme hatte. Stattdessen wurden sie als die propere Alternative zu den ungewaschenen, ruhelosen Jugendlichen angepriesen. Nixon empfing sie im Weißen Haus. Und wenn ich mich recht erinnere, spielten Priscilla und der Major sogar für den Präsidenten. Sie ist noch am Leben und wohnt in Porter Ranch, falls Sie mit ihr sprechen möchten. Ganz offensichtlich liebt sie die Farbe Pink.«
    »Sehr feminin. Also wäre ein Fan von Priscilla eher konservativ eingestellt, aber nicht ultrakonservativ, wenn sie sich die bekannten Radiosender anhörte.«
    »Genau das wäre auch meine Einschätzung.«
    Lauren machte sich weitere Notizen. »Gut, und weil sie eine Jacke trug und Fan einer konservativen Band war, glauben Sie nicht, dass Ihre Jane Doe als Prostituierte oder Gelegenheitsbekanntschaft einfach Pech hatte.«
    »Warum fragen Sie?«
    »Wegen der Verletzung... für mich wirkt ein solcher Schlag impulsiv und ungeplant. So etwas würde ein Zuhälter einer Nutte verpassen oder ein Betrunkener einer zufälligen Bekanntschaft, die nein sagt.«
    »Meiner Meinung nach war es tatsächlich eine eher private Auseinandersetzung, ich glaube aber, der Mord wurde vom Lebensgefährten der Frau begangen – ihrem Freund oder Ehemann. Mein Gefühl sagt mir, dass das Mädchen selbst mit Anfang zwanzig noch ein bisschen unschuldig und naiv für ihr Alter war.«
    »Wieso?«
    »Ich fand in der Nähe ihres Leichnams einen Stimmungsring. Wissen Sie, was das ist?«
    »Helfen Sie mir auf die Sprünge.«
    »Ein Stimmungsring hat einen Stein, der seine Farbe je nach Ihrer Laune ändert. Leuchtet er rot oder im warmen Farbspektrum, sind Sie glücklich, und Sie sind traurig, wenn er blau ist. Offenbar reagiert der Stein auf die Hauttemperatur.«
    »Also war er blau, als Sie ihn gefunden haben?«
    »Fast schwarz.« Decker schüttelte den Kopf. »Ich bin mir sicher, dass er seit langer Zeit schwarz war. Stimmungsringe waren eindeutig ein Modetick für junge Mädchen. Deshalb glaube ich, dass unsere Jane Doe ein bisschen naiv und unschuldig war. Jemand, der auf Frieden, Liebe und Seelenwanderung stand.« Decker schwieg einen Moment. »Manchmal verlieren junge Frauen ihren Halt, wenn der falsche Typ Freund