Habgier: Roman (German Edition)
gezücktem Stift sagte er: »Erzählen Sie mir von sich, Lindie.«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich war ein braves Kind aus einer netten Familie. Die Zeiten waren einfach so.«
»Verrückte Zeiten. Viele Jugendliche wurden mitgerissen. Auf welchem College waren Sie?«
»Das Kentmore College in Pasadena. Wissen Sie, wo das ist?«
»Na klar«, antworte Decker, während er sich Notizen machte. »Gegründet von Reverend William Coolidge Jones. Eine Bastion des konservativen Denkens in diesen turbulenten Jahren.«
»Genau. Fast alle von uns kamen aus konservativen Familien. Dort lernte ich Christian Woodhouse kennen. Wir gingen miteinander aus und wollten heiraten. Ich hatte die gesamte Hochzeit im Geiste durchgeplant. Dann begegnete er eines Tages, auf einer Party, Alyssa Bright, die später das Mapplethorpe dranhängte, diese Angeberziege. Danach änderte sich alles grundlegend.«
»Inwiefern?«
»Alyssa war eine Gastschülerin von UCLA und Berkeley. Sie vermittelte Christian ein soziales Gewissen, aber vor allem eben Sex und Drogen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich war in ihn verliebt, also war ich dabei. Er musste mich nicht sonderlich überreden. Es machte verdammt mehr Spaß als organische Chemie.«
Decker nickte und bekam vom schnellen Mitschreiben fast einen Krampf in der Hand. Es gab eine kurze Verschnaufpause, als sie ihren dritten Spezialkaffee beendete und nach einem vierten fragte.
»Die ganzen Drogen und Partys hatten ihren Preis. Genau genommen brachen wir alle das College ab, aber wenn wir nicht freiwillig gegangen wären, hätte man uns rausgeschmissen. Christian und Alyssa kamen aus reicherem Hause als ich, aber ich hatte was gespart. Wir legten unser Geld zusammen und mieteten eine Bruchbude im East Valley. Das Beste an der Hütte waren die vielen Schlafzimmer. Um über die Runden zu kommen, nahmen ich und die anderen ein paar Untermieter auf, Studienabbrecher wie wir selbst. Wir waren nicht sehr wählerisch, denn die Hauptsache war, sie konnten ihre Miete bezahlen. Am Ende wohnten wir zu zwölft in dem kleinen Haus. Drogen bis zum Abwinken, Sex bis zum Abwinken, das Leben war eine einzige Riesenparty.« Sie starrte Decker an. »Sie sind ungefähr so alt wie wir. Sie wissen doch genau, wovon ich rede.«
»Ich weiß genau, wovon Sie reden.«
»Sehen Sie?« Durch ihre Tränen schimmerte ein Lächeln durch. »Sogar Polizisten haben eine Vergangenheit.«
Nicht nur eine.
In den frühen Siebzigern war Decker Vater, Ehemann und – was am wichtigsten war – ein traumatisierter Vietnamveteran, der als Streifenpolizist in Gainesville, Florida, seine Runden drehte. Dennoch lächelte er Lindie an. Sie wurde wieder munterer, als ihr vierter Becher Kaffee kam. Er gab ihr Halt.
Sie nippte daran und fuhr fort: »Bald wurde uns das hirnlose Rumhängen langweilig, also traten wir in die nächste, naheliegende Phase ein. Das war so um’73 oder’74. Mit den Beatles und den Stones hatten wir die östlichen Religionen entdeckt. Endlich fanden wir einen richtigen Grund, uns zuzudröhnen, denn es führte direkt in die spirituelle Erleuchtung. Aber als wir das Ganze ausprobierten, fehlte uns etwas – bis Alyssa Beth und Manny anschleppte. Alles wurde anders. Wir fanden unsere echte Bestimmung.«
»Einen Moment«, sagte Decker. »Wie lernte Alyssa denn Beth kennen?«
»In dem Coffee Shop, in dem die beiden arbeiteten. Alyssa lud sie zu einer unserer Meditationssitzungen ein. Beth und Manny waren zufällig irgendwie religiös... katholisch, aber ihr Gottesdienst beinhaltete viele Bräuche der Ureinwohner. Das brachte uns die perfekte Lösung. Wir schufen einen vertrauten Gottesdienst, in den wir die Besonderheiten der indianischen Riten einbauten. Wir waren hingerissen. Manny und Beth traten unserer Gruppe bei, und unsere Spritzfahrt in die Welt der Meditation begann. So kam es zur Gründung der Kirche des Sonnenlandes.«
Decker schrieb und schrieb. »Okay, und dann?«
»Mit Manny als Anführer konnten wir neue Menschen gewinnen. Er wurde zum Mittelpunkt unserer kleinen Gruppe und verlieh ihr die nötige Ernsthaftigkeit. Sonst wären wir nur ein Haufen weißer amerikanischer Kids gewesen, die ihre Herkunft ablehnen. So kamen die Leute, um Manny reden zu hören. Es war Beths Idee, für das Wohl der Gruppe Geld zu verlangen. Sie war es auch, die die Ladenfront gefunden hatte, wodurch die Kirche erst eine richtige Gemeinschaft wurde. Beth und Manny dachten sich die indianischen Geschichten und die
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