Habgier: Roman (German Edition)
benötigten Landmarks der Knochen, also die signifikanten Punkte des Gesichts.«
Decker hörte jetzt sehr genau zu. »Erzähl weiter.«
»Sie brachten dann so eine Maschine ins Spiel, mit der sie den Schädel dreidimensional reproduzieren konnten.«
»Was für eine Maschine?«
»Einzelheiten hab ich vergessen, Pete. Ist schon ein paar Jahre her, dass ich die Sendung gesehen habe. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, weil es mal was anderes war. Sie haben den Schädel geröntgt und die Röntgenbilder benutzt, um die dreidimensionale Kopie anzufertigen. Die Polizei ist mit dem Schädel zum Richter, und der Richter hat ihn als forensisches Beweismittel zugelassen. Dann hat die Rekonstrukteurin das Modell des Schädels benutzt, um der Leiche ein Gesicht zu geben.«
»Hat es funktioniert?«
»Ja, jemand hat die Person erkannt, und der Kerl wurde gefasst.«
»Kannst du dich an den Fall erinnern?«
Mike dachte ziemlich lange nach. »Das Opfer war eine Afrikanerin, die in den Staaten lebte, deshalb hatte sie auch keine Verwandten hier, die sie als vermisst gemeldet hätten. Ich glaube, es passierte irgendwo in der Mitte des Landes. Tut mir wirklich leid, an Namen kann ich mich nicht erinnern, aber es gibt bestimmt irgendwo eine Aufzeichnung. Entweder war’s bei Cold Case oder bei Forensic Files .«
Decker machte sich genaue Notizen.
Mike biss noch einmal von seinem Hamburger ab und kaute langsam. »Ich such dir den Sender raus, dann kannst du da jemanden anrufen, der sich mit diesen Programmen auskennt. Vielleicht kennt da jemand die Geschichte noch.«
»Ich bin sicher, wir können eine Kopie der Sendung bestellen, wenn wir erst mal herausgefunden haben, welchen Fall in welcher Serie du gesehen hast. Vielleicht werden die Folgen ja im Internet aufgelistet.« Decker sah Hollander an. »Wir könnten das zusammen recherchieren. Macht es dir was aus, mit aufs Revier zu kommen?«
»Ich dachte schon, du würdest nie fragen.«
16
Das Revier war zu zwei Dritteln unbesetzt, da fast alle Cops ausgeschwärmt waren, um die regelmäßige Flut von Verbrechen aller Art zu untersuchen. Wie das Wasser der Ozeane folgten Straftaten dem Rhythmus von Ebbe und Flut: Auf kriminelle Hochphasen folgten Ruhephasen, und alles schien mit dem Lauf des Mondes zusammenzuhängen.
Das Großraumbüro war in einzelne Bereiche aufgeteilt: Über mehreren in Gruppen zusammengestellten Schreibtischen baumelten Schilder von der Decke, die verrieten, welche Polizisten darunter ihren Dienst taten. Die Bereiche spiegelten die üblichen Verbrechensarten wider: Autodiebstahl, Einbruch, Körperverletzung, Jugendkriminalität, Sexualdelikte, Betrug und – gut versteckt und uneinsehbar in der hintersten Ecke – Mord. Mit Fallsammlungen bestückte Regale zogen sich über den größten Teil der Wand, ließen aber noch Platz für ein paar eselsohrige Pläne des Distrikts.
Marge Dunn hatte gerade einen Packen Telefonlisten von Roseanne Dresdens Handy-Provider bekommen. Der letzte Anruf, der für das verschwundene Handy der Frau dokumentiert war, kam um 00:35 Uhr aus San Jose zu ihrem Festnetzanschluss zu Hause und dauerte fünfunddreißig Sekunden. Roseannes Aufzeichnungen schrien geradezu nach einer Antwort auf die Frage, was sie kurz nach Mitternacht in San Jose gemacht hatte, wenn West Air behauptete, dass sie am nächsten Morgen um 08:15 Uhr auf einem Flug von Burbank nach San Jose gewesen war.
Möglich wäre, dass Roseanne mit der Frühmaschine aus San Jose nach Burbank geflogen und nicht ausgestiegen war – was wiederum erklären würde, warum Erika Lessing sie nicht gesehen hatte.
Gab es denn überhaupt einen früheren Flug?
Auf der Website von West Air ging Marge die Flugpläne durch. Der einstige Flug 1324 war gestrichen worden. Stattdessen gab es nun einen Flug 247, der Burbank Richtung San Jose um 08:30 Uhr statt 08:15 Uhr verließ – eine sehr dünne Zuckerschicht auf einer bitteren Pille, aber wer wollte es West Air verübeln, dass sie die Öffentlichkeit einlullten? Viel wichtiger war die Tatsache, dass es einen Flug 246 gab, der seine erste Reise um 05:00 von San Jose nach Burbank antrat. Roseanne konnte es also geschafft haben, von San Jose aus nach Burbank zu kommen, um dann an Bord des Todesfluges 1324 den Rückflug anzutreten.
Aber warum sollte Roseanne einen so eng beisammenliegenden Hin- und Rückflug an Bord einer Pendlermaschine antreten, außer wenn sie wirklich richtig im Dienst war? Marge umkringelte Roseannes
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