Habgier: Roman (German Edition)
grinste. Marge spielte Flöte, aber nur, wenn sie allein war. Sie betrachtete es als eine ganz persönliche Sache, so wie singen unter der Dusche. »Die beiden scheinen viel gemeinsam zu haben.«
»Das ist schön.« Rina rückte näher an Decker heran, und er legte seinen Arm um ihre Schulter. »Ich wünsche ihnen viel Glück und Freude.« Sie musterte ihren Gatten. »Du siehst erschöpft aus.«
»Bin ich auch.«
»Erfolgreiche Reise?«
»In mancher Hinsicht schon. Roseannes Exlover hat sich einem Lügendetektortest unterzogen, und eine Stewardess war sich ziemlich sicher, dass Roseanne den Fünfuhrflug von San Jose nach Burbank am besagten Morgen genommen hat. Es sieht weiterhin so aus, als sei sie nach ihrer Ankunft in Burbank verschwunden.«
»Denkst du noch über den Ehemann nach?«
»Ja, das ist der logischste Verdacht. Ich bin sicher, er verheimlicht etwas.« Decker zuckte mit den Achseln. »Aber alle, die bei dem Absturz ums Leben kamen, nahmen bestimmt Geheimnisse mit ins Grab.«
»Geheimnisse vor ihresgleichen, doch nicht vor Gott.«
»Ein demütiger Gedanke«, gab Decker zurück und runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob ich wirklich an so einen persönlich involvierten Gott glaube. Ich finde eher, dass Gott Besseres zu tun hat, als sich um die trivialen Dinge in unseren unbedeutenden Leben zu kümmern.«
»Manchmal denke ich das auch. Warum auch sollte Hashem sich darüber Gedanken machen, ob ich ein blaues oder pinkfarbenes Kleid trage? Aber so denken wir Juden nicht. Wir glauben wirklich an das Gebot des Hashgacha Pratit – Gott wacht zu jeder Zeit über all unsere Taten.«
»Jedem das Seine.«
»Und es gibt Tage, da bin ich davon überzeugt, dass Hashem sich mit unseren unbedeutenden Leben beschäftigt. Glücklicherweise geschehen so viele wichtige Dinge, die ich nicht einfach dem Zufall ankreiden kann.«
»Ich nehme an, als Atheist tut man genau das – alles dem Zufall ankreiden.«
»Ich glaube da lieber an göttliche Einmischung, das ist viel romantischer und um einiges poetischer.«
»Das liegt daran, dass du tief in deiner Seele romantisch und poetisch bist. Und ich? Ich glaube an Gott, aber aus einem ganz anderen Grund. Ich brauche Gott dringend. Wen soll ich sonst verfluchen, wenn mal wieder alles den Bach runtergeht?«
24
Es war einer der seltenen Momente, in denen er sich die Zeit nahm, ihren Rosenduft zu riechen. Und als er auf seine schlafende Tochter herabsah, deren karottenrotes Haar über ihr Gesicht und das Kopfkissen ausgebreitet war, da wurde ihm bewusst, dass er, auch wenn das Leben viel zu schnell vorüberging, seine Tage auf Erden dazu genutzt hatte, Wunder wahr werden zu lassen. Zwei, um genau zu sein, aber beim zweiten hatte er noch mehr Glück gehabt. Cindy, die voll und ganz in seinem Herzen, allerdings nur zeitweise in seinem Leben gewesen war, und dann Hannah Rosie, deren Irrungen und Wirrungen als Teenager er detailliert mitbekam. Manchmal sah es danach aus, als würden die Dramen ihres Alltags kein Ende finden, andererseits konnte er sich glücklich schätzen, für sie da zu sein, wenn sie ihn brauchte.
Er berührte sanft die Schulter seiner Tochter. »Wach auf, Röschen. Es ist ein wundervoller Morgen, und ich liebe dich.«
Hannah atmete tief ein und öffnete ihre Augen. »Ich liebe dich auch.«
Er küsste sie auf die Stirn. »Ich warte in der Küche auf dich.«
»Fünf Minuten?«
»Heute nicht, weil ich dich zur Schule bringe.«
Sie drehte sich noch einmal um und zog sich die Decke über den Kopf. »Kann das nicht Ima machen?«
»Du lehnst meine angenehme Begleitung ab?«
»Ich liebe dich als Begleiter, Abba, ich will nur ein bisschen länger schlafen.«
»Mir ist klar, dass du ein schier unendliches Schlafvermögen hast, aber leider musst du jetzt den Tatsachen ins Auge sehen.«
»Kannst du schon mal meine Fische füttern und den Rucksack mitnehmen?«
Decker warf einen Blick auf das Aquarium seiner Tochter. Bis vor kurzem fand der Ausflug zum Tropenfischaquarium der Tierhandlung wöchentlich statt, aber seit Neuestem hatte Hannah an den Wochenenden Besseres zu tun. Daher schwammen in dem Becken nur noch zwei Skalare und zwei Gründler – ein Wels und eine Prachtschmerle. Das Gute daran war, dass die verbliebene treue Anhängerschaft gesund war. Decker schnippte ein paar Flocken Fischfutter ins Wasser und griff sich Hannahs Büchertasche, die nicht weniger als fünfzehn Tonnen wog. »Irgendwelche Wünsche fürs
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