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Habiru

Titel: Habiru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Gerhardt
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im Jahr vereinen sich Mann und Frau symbolisch auf der Insel im See.«
    Inanna nickte, und sagte: »Aber das ist nicht alles. Es gibt einen Grund für diesen Akt.«
    Sarah verstand nicht. Sie wusste zwar, dass man hier die heilige Hochzeit feierte, und auch, wie diese aussah, Schena hatte es ihr erklärt, aber sie hatte bis heute noch nicht einmal dran gedacht zu fragen, warum man sie feierte. Was hatte das mit der Wiedergeburt zu tun? So wusste sie nicht, was sie sagen sollte, so dass Inanna weitersprach:
    »Du weißt doch, alles bewegt sich in Kreisen. Kein Leben vergeht auf Ewig. In der Natur erwacht alles jedes Jahr von Neuem zu leben. Und das feiern wir. Die Frau steht symbolisch für die Mutter Natur. Alles Leben erblickt durch ihren Schoß das Licht der Welt, egal, ob weiblich oder männlich.
    Und das männliche Prinzip schafft durch seine Vereinigung mit dem weiblichen wieder einem neuen Zyklus. Der Mann steht also symbolisch für den Befruchter.«
    Sarah verstand. Im Grunde war die Heilige Hochzeit eine symbolische, jährliche Feier der Wiedergeburt allen Lebens.
    Sarah schaute Inanna an. Sie hatte die letzten Augenblicke einfach nur schweigend neben ihr gesessen.
    Sarah sagte: »Eure zyklische Weltvorstellung ist in unserer Welt fremd. In unserer Welt entwickelt sich alles linear, angefangen mit einem Schöpfergott, über die Menschwerdung bis hin zum Jüngsten Gericht, dem Punkt, an dem die Welt untergeht.«
    Inannas Gesicht verhärtete sich, und auch Schena sah sie ungläubig an. »Sarah, das ist doch Unsinn. Die Welt geht nicht eines Tages unter. Und du musst mir erklären, was ein Schöpfergott sein soll. Was ist ein Gott?«
    Sarah überlegte, wie sie das begreiflich machen konnte.
    »Nun, Gott ist der Name für den Schöpfer der Welt, der im Himmel über uns thront und nur durch sein Wort diese Welt geschaffen hat. In meiner Welt gibt es viele verschiedene Vorstellungen von Ihm, und es wurden lange Jahre Kriege geführt, weil einige meinen, nur ihre Vorstellung sei die richtige.«
    Inanna war entrüstet. »Das ist doch absurd. Wie kann ein Mann alleine und nur durch sein Wort schöpferisch wirken?«
    Sarah fiel erst jetzt auf, dass man sich Gott immer als Mann vorstellte. »Das geht nicht, jetzt begreife ich es selbst.«
    Inanna fuhr fort: »Alles auf dieser Welt lebt durch die Große Mutter. Sie ist die universale Kraft. Nur wenn sich das Männliche mit dem Weiblichen vereint, entsteht neues Leben. Das ist die einzige wirkliche Schöpfungskraft. Dieser Schöpfungskraft verdankt jedes Leben seine Existenz. Und alles in der Welt bewegt sich in Zyklen. Alles Leben beginnt mit dem Werden, dann kommt das Sein, in dem man selbst den Zyklus vollenden kann, in dem man neues Leben schenkt, und dann folgt das Vergehen. So war es schon immer und so wird es immer sein. Deswegen kennt das Leben auch keinen Endpunkt. Schau dir doch die Jahreszeiten an, daran kann man es schön sehen.«
    Sarah verstand immer mehr von der Philosophie, die hinter Schenas Welt steckte.
    Inanna bückte sich und hob etwas auf. Sie zeigte es ihr.
    In ihrer Hand lag ein Weizenkorn.
    »Schau dir dieses Samenkorn an. Sämtliches Wissen, wie es einmal aussehen wird, muss darin enthalten sein. In jedem Samenkorn steckt diese Information.
    Und wenn es wächst, blüht und wieder vergeht, beginnt der Zyklus von neuem.
    Denn aus der Blüte wird die nahrhafte Frucht, sofern sie befruchtet wird vom Blütenstaub der anderen Blüten, die der Wind oder die Bienen bringen. Und
    aus der Frucht kommt das neue Samenkorn.«
    Mit diesen Worten erhob sich Inanna und ließ sie allein. Sie ging wieder in die
    Hütte.
    Sarah blieb noch sitzen. Sie dachte, sie hätte schon längst alles von dieser Kultur gewusst. Es wurde ihr immer mehr bewusst, was für eine Fehleinschätzung das doch war. Man war hier noch weiser, als sie sich das in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnte. Denn diese Aussage traf den Kern der Vererbungslehre genau. In jeder einzelnen Zelle steckte die gesamte Information über das Leben - die Genetik - ein wahrhaft göttliches Prinzip.
    Und die sichtbare Fortpflanzung war immer an das Mutterprinzip gebunden. Mütter waren das Zentrum neuen Lebens, egal ob beim Mensch oder im Tierreich. Und selbst als es noch nicht so war, als das Leben sich noch ungschlechtlich vermehre, also ursprünglich noch gar kein Geschlecht kannte, passte diese Vorstellung genauso. Dann war es die Mutterzelle, die sich in zwei Tochterzelen teilte, die ebenso die

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