Habiru
hier bei uns - im friedlichen Zweistromland?« Sowohl Arnek als auch Nestas schüttelten heftigst ihre Köpfe.
Dieses Mal war Sarah irritiert. Konnte es wirklich sein, dass diese Menschen hier wirklich so lange in Frieden lebten, und ihre Generation wirklich nicht aus eigener Erfahrung wusste, was ein Krieg war? Sie konnte es kaum glauben. »Wie auch immer, in meiner Zeit ist das so, ich erkläre euch das später. Viel wichtiger ist aber, dass dort stand, dass Eridu eine der ersten Städte war, und schon seit 5000 Jahren oder länger aufgegeben wurde, weil sie versandete. Heute liegen die Fundstücke mitten in der Wüste.«
Nestas unterbrach sie: »Wüste? Das kann nicht sein. Jedenfalls nicht, wenn wir beide das gleiche mit Wüste meinen.«
»Endlose Sandflächen, ohne Wasser, mit Gluthitze tagsüber und Eiseskälte nachts?«
Nestas nickte. »So etwas kenne ich, ein paar Tagesmärsche nach Osten wird der Boden karger und wenn man noch weiter wandert, beginnt eine Wüste. Aber selbst in der Wüste gibt es Leben, denn auch dort siedeln einige der Stämme unseres Volkes und bewirtschaften das Land.«
Sie machte eine kurze Pause und sprach dann weiter. »Aber Eridu ist doch fruchtbares Land, mitten am Meer, an den Mündungen der Flüsse Idiglat und Buranum gelegen, die jedes Jahr fruchtbaren Boden aus den Bergen mitbringen. Versiegen diese Flüsse?« Nestas Stirn lag in Falten.
Sarah antworte: »Nein. Aber das mit den Flüssen passt - ich habe es überprüft
- weil es mich wunderte, nachdem ich euer Eridu kennen lernte, und das bei uns gefundene historische Eridu in der Wüste liegt, weit weg vom Meeresufer, und auch etwas entfernt vom Verlauf der Flüsse, die hier genau am Meeresufer zusammenfließen. Ich hätte fast aufgehört mit den Nachforschungen. Aber man kann das erklären, da, wie du richtig sagtest, durch die Sedimente, die Euphrat und Tigris, so nennen wir diese Flüsse, mitbrachten, sich in den Jahrtausenden die Küstenlinie weit nach Süden verschoben hat - und während bei euch die Flüsse kurz vor dem Meer zusammenfließen, sind es heute über 190 Kilometer, die beide zusammen in einem Bett fließen, und dieser gemeinsame Flusslauf hat sogar einen eigenen Namen, er wird Schatt Al Arab genannt.«
»Oh.« machte Nestas.
Bestimmt verstand sie die Entfernungsangabe nicht, aber sie fragte nicht nach. Sie hatte begriffen, dass es eine ganz schöne Entfernung sein musste. Sarah war noch längst nicht fertig.
»Hinter der Wüstenbildung steckt aber mehr, als nur die Änderung des Flusslaufes. Sie ist wesentlich umfangreicher, als man das mit dem Wasser aus Flüssen oder der Entfernung zum Meer erklären könnte.«
»Wie meinst du das?«
Mit dieser Frage hatte sie gerechnet. Nach einmal tief Luft holen fuhr sie fort: »Man kann es nur erklären, wenn man auch Klimaveränderungen und Raubbau an der Natur berücksichtigt.«
Die anderen verstanden nicht. »Was bitte sind Klimaveränderungen? Was bedeutet »Raub an der Natur«?«
Jetzt war es doch sinnvoll, dass Sarah gerade erst ein paar Monaten im Fach Erdkunde die Themen Wetter und Klima hatte und dieses Wissen gerade erst aufgefrischt hatte.
»Was das Wetter ist, wisst ihr, oder?«
Arnek blickte fast beleidigt drein, Nestas schien leicht gereizt. »Natürlich - schließlich ist das Wetter das wichtigste, wenn man Ackerbau betreibt. Wir müssen schließlich wissen, was wir den Samen ausbringen und wann wir ernten können.«
Sarah war es unangenehm, das war dumm von ihr, daran hatte sie nicht gedacht. Selbstverständlich mussten sie wissen, was Wetter bedeutet, wenn sie sich selbst versorgten. Sie redete einfach weiter.
»Genau. Und als Klima bezeichnet man einfach sehr langfristige Betrachtungen, von ... von dem Wetter über viele Winter und Sommer. Und das kann sich verändern - einfach so - oder eben auch, wenn wir Menschen Raubbau an der Natur betreiben. Denkt nur, man würde hier alle Bäume fällen und zu Holz verarbeiten. In ein paar Jahren wäre der fruchtbare Boden, der vorher durch die Wurzeln gefestigt wurde und durch das Laub der Bäume ständig aufgefrischt wurde, einfach weg sein und nur unfruchtbarer Boden übrig bleiben. Das wäre eine ganz klar sichtbare Folge des Raubbaus. Aber die Folgen bemerkt man nicht einmal unmittelbar. Wenn hier keine Bäume mehr stehen, wird auch kein Wasser mehr über die Blätter verdunsten und es wird höchst wahrscheinlich weniger Regen geben. Die Wüstenbildung würde sich so sogar noch beschleunigen.
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