Habiru
Befürchtung war richtig. Heute war wieder einer dieser ganz schlimmen Tage, an dem die Zeit überhaupt nicht rumzugehen schien. Wie jeden Mittwoch gleich zu Beginn eine Doppelstunde Deutsch. Und als es endlich zur ersten großen Pause klingelte, hätte es nach Sarahs Empfinden schon zur 2. Pause klingeln müssen. Ohne viel Elan ging sie in die Pausenhalle und suchte Jessica. Es war doch mal wieder Zeit sich mit ihr zu unterhalten und sich für ein Treffen zu verabreden. Da war sie. Sarah ging auf sie zu und die beiden unterhielten sich ganz normal. Das mochte sie an ihr, auch wenn sie sich inzwischen aus dem Weg gegangen waren, konnten sie trotzdem später wieder ganz normal miteinander sprechen. Der Small Talk tat Sarah heute mal wieder richtig gut, und auch an dem Getuschel wer mit wem hatte sie erstmals wieder Spaß. Jessica war völlig in Helge verschossen, den blonden Jungen aus der 9a. Sie schwärmte nur von ihm.
Für den morgigen Nachmittag verabredeten sie sich, heute konnte Jessica nicht, sie hatte mittwochs immer ihre Reitstunde. Nach der Pause wurde es endlich mal wieder etwas interessanter in der Schule. Das lag an Herrn Schmidt, ihrem Klassenlehrer. Er war mit ihr Lieblingslehrer, nicht so abgehoben und immer mit offenen Ohren für die Probleme der Schüler.
Obwohl sie eine Erdkunde-Stunde hatten, war wieder der Irak Thema. Herr Schmidt fragte nach der neuesten Entwicklung, und Sarah meldete sich, weil sie sich heute morgen informiert hatte.
»Der US-Präsident hat ein Ultimatum ausgesprochen, entweder, Saddam ergibt sich innerhalb von zwei Tagen, oder man wird den Irak angreifen.«
Herr Schmidt war sichtlich begeistert über ihre Beteiligung und ihre richtige Bemerkung. »Das ist richtig. Was haltet ihr davon?«
Wer meldete sich? Na klar, Tobias.
»Dieses Ultimatum stinkt. Es hat nun den Schein, als würde es tatsächlich nur um die Entmachtung Saddams gehen, dabei war das ja nur einer von vielen Gründen, warum man ausgerechnet in den Irak einmarschieren muss. Wir hatten da ja schon drüber gesprochen. Was aber viel interessanter ist, ich habe zusammen mit meinem Vater mal ein wenig im Internet geforscht. Das »Project for a new american century«, oder abgekürzt PNAC, hat schon 1998 das Ziel formuliert, im Zuge neuer geopolitischer Überlegungen den Irak zu besetzen und Saddam zu entmachten. Auch dort wird schon mit den Begründungen hantiert, warum das geschehen muss, es klingt aber hier viel deutlicher das Interesse um Öl an.«
Sebastian redete dazwischen. »Und - was hat das mit der aktuellen Politik der USA zu tun? Was soll dieses PN... denn sein? So viel Macht kann er ja wohl kaum haben.«
»Es ist ein sogenannter Think Tank, oder auf deutsch eine Denkfabrik, eine Interessenvertretung oder Lobbyvertretung. Was sie mit der Politik zu tun hat? Nun, das war uns am Anfang auch nicht klar, aber wir haben hier ein Dokument gefunden, welches das ziemlich deutlich macht. Fast alle Unterzeichner dieses Briefes sind heute in Regierungsämtern. Schaut mal.« Herr Schmidt ging zu Tobias und sah sich den Ausdruck an. »Das ist ja interessant. Rumsfeld. Wolfowitz. Armitage. Jeb Bush. Cheney. Das »who ist who« der jetzigen US-Regierung. Davon habe ich auch noch nie gehört.«
Herr Schmidt runzelte seine Stirn. »Hast du Lust, darüber mehr zu berichten, vielleicht in Form eines Referates?«
Tobias nickte, für ihn war das wahrscheinlich ein Selbstgänger, und wahrscheinlich nur der Unterschied zwischen einer Eins oder einer guten Zwei im Schulzeugnis. »Werde ich machen. Wir haben noch etwas anderes entdeckt. Es gibt ein Dokument, da fordert der gleiche Verein eine Neuordnung der amerikanischen Verteidigung. Wahrscheinlich dieses Raketen-Weltraum-Projekt SDI oder so was. Auf jeden Fall schreiben sie selbst, ihre Ziele seien nicht durchsetzbar, es sei denn, ein neues Pearl Harbor würde stattfinden.«
Tobias wartete auf eine Reaktion der Klasse, allerdings kam keine. »Das musst du der Klasse jetzt aber erläutern.«
Das tat er gerne, Politik und Geschichte waren sowieso seine besten Fächer. »Pearl Harbor war der Kriegseintrittsgrund für die USA im 2. Weltkrieg. Die Japaner griffen dort die US-Flotte an, angeblich völlig überraschend. Da gab es vor kurzem erst den Hollywood-Film zu.«
Einige hatten den gesehen und taten dies laut kund.
Tobias ließ sich nicht beirren:
»Diese Gruppe meint also, nur ein völlig überraschender Angriff von Außen würde dazu führen, dass ihre Ziele
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