Hackenholt 06 - Reichskleinodien
Vorwurf einzugehen, er hätte erreichbar sein müssen, wenn er tatsächlich krank gewesen wäre.
»Und dieser Zustand hielt am Freitag noch an?«
»Genau.«
»Warum hat Sie das so mitgenommen, Herr Beck? Ich meine, wieso macht Ihnen der Raub des Reichsapfels derart zu schaffen, wohingegen Sie der Tod zweier Menschen ziemlich kalt zu lassen scheint?«
»Sie dürfen mich nicht missverstehen«, widersprach der Museumsmitarbeiter und wurde rot. »Ich bin selbstverständlich absolut erschüttert, dass die beiden Fahrer ihr Leben verloren haben. Aber im ersten Augenblick dachte ich tatsächlich nur an die Insignie. Wissen Sie, die Organisation einer solchen Ausstellung ist eine enorme Aufgabe und zugleich eine große Ehre. Derlei macht man allenfalls einmal im Leben. In der Zeit baut man zu den Exponaten natürlich ein ganz besonderes Verhältnis auf. Als Sie sagten, dass eins der eindrucksvollsten Stücke gestohlen wurde, hat es mir schlicht den Boden unter den Füßen weggezogen.«
»So, so.«
»Außerdem«, Beck leckte sich hastig mit der Zunge über die spröden Lippen, »sollte diese Ausstellung meiner Karriere auf die Sprünge helfen.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Nun ja, unter uns gesagt: Die Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Drosthoff war die letzten Jahre nicht sonderlich fruchtbar. Im Grunde genommen war es so, dass ich die Arbeit gemacht habe und er die Lorbeeren kassierte. Ich mag meine Arbeit – wirklich! Aber Herr Dr. Drosthoff hat das nie honoriert, indem er sich beispielsweise für mich eingesetzt hätte, wenn eine Stelle im Museum neu zu besetzen war. Daher habe ich mich vor ein paar Wochen beim Deutschen Museum in München beworben. Nachdem man mich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, wurde mir mitgeteilt, ich hätte sehr gute Chancen, die Stelle zu bekommen. Offenbar konnte ich das Gremium von meinen Fähigkeiten überzeugen, die ich bei der Organisation der Reichskleinodien-Ausstellung unter Beweis gestellt habe. Aber jetzt … jetzt ist alles dahin. Niemand wird mich jemals befördern, wenn ich nicht sogar meinen Arbeitsplatz verliere. Und alles nur wegen Dr. Drosthoff. Diese Erkenntnis hat mich am Freitagmorgen derart runtergezogen, dass ich mich in die nächste Bahn gesetzt habe und zu meiner Schwester gefahren bin.«
»Inwiefern ist Dr. Drosthoff daran schuld?«
»Er wird mir alles in die Schuhe schieben und jeden Fehler von sich weisen.«
»Da liegen Sie nicht ganz falsch: Er hat uns mitgeteilt, Sie wären für die Belange rund um den Transport zuständig gewesen, und er hätte damit nichts zu tun gehabt.«
»Sehen Sie? Genau wie ich es prophezeit habe.« Norbert Beck klang resigniert. »Dabei ist das natürlich völliger Humbug. Das hätte meine Kompetenzen bei Weitem überschritten.«
»Uns interessiert vor allem, wie es dazu kam, dass der Firma Dippold-Transporte der Auftrag erteilt wurde.«
»Das hat Herr Dr. Drosthoff getan.«
Hackenholt seufzte innerlich. Offensichtlich waren die beiden Männer mehr daran interessiert, sich die Schuld gegenseitig zuzuweisen und damit ihre jeweilige Karriere zu retten, als an der Aufklärung mitzuwirken.
»Wie genau ist das abgelaufen?«
»Ich weiß es nicht, das müssen Sie ihn fragen.«
»Herr Dr. Drosthoff sagte uns, er hätte nicht nur die Aufgabe an Sie delegiert, einen Plan zu erstellen, wann welches Fahrzeug welches Exponat abholen sollte, sondern es auch Ihnen überlassen, die neuen Firmen zu überprüfen und sich darum zu kümmern, dass mit den Versicherungspolicen alles in Ordnung war. Das stimmt nicht gerade mit Ihrer Version überein.«
»Also, es war so: Er hat wie immer alles auf mich abgewälzt; das ist richtig. Aber ich gab ihm manche Aufgaben zurück, weil ich zu diesen Entscheidungen nicht befugt war.«
»Wer hat die Firma Dippold-Transporte vorgeschlagen?« Hackenholt war mittlerweile sichtlich genervt.
»Soweit ich mich erinnere, rief Herr Förster eines Tages von sich aus bei mir an. Er hatte von einem befreundeten Kollegen gehört, dass unser Museum für den Rücktransport der Exponate noch vertrauenswürdige Partner suchte. Ich sagte ihm, er solle sich an Dr. Drosthoff wenden, weil der dafür zuständig sei. Einige Zeit später hat mir der Chef dann die Unterlagen der Firma auf den Schreibtisch gelegt. Vielleicht war es auch Felix Kurz – daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls war klar, dass Dr. Drosthoff mit der Firma zusammenarbeiten wollte. Daher habe ich sie in meine Planung
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