Hackenholt 06 - Reichskleinodien
eigentlich morgen Mittag nach Hause fahren. Ich bin jetzt seit sieben Tagen bei euch. Nicht, dass es mir in Franken nicht gefallen würde, aber so allmählich möchte ich ganz gern mal wieder eine Nacht in meinem eigenen Bett schlafen. Davon abgesehen habe ich auch keinen unbegrenzten Wäschevorrat mitgebracht.«
»Tja, was soll ich sagen?«, schmunzelte Hackenholt. »Dann ist heute wohl doch genau der richtige Abend für ein gemeinsames Essen.«
Sophie überlegte nach Hackenholts Anruf eine Weile, wo sie für den Abend einen Tisch reservieren sollte. Sie waren mit Theo beim Bratwurstessen gewesen, Schäufele hatte sie selbst für ihn zubereitet, und bei Christine Mur hatte er einen gemütlichen Grillnachmittag verlebt. Eigentlich fehlte in der Sammlung noch der Aischgründer Karpfen, aber der Juli hatte nun mal kein R im Namen – und damit blieben den Karpfen noch knappe zwei Monate Schonzeit.
Somit war wohl der Moment gekommen, Theo Winter zu zeigen, dass die Franken nicht nur bäuerlich-bodenständiges Essen zu schätzen wussten, sondern auch eine gehobene Küche beheimateten. Schließlich fiel Sophie der Schindlerhof in Boxdorf mit seinem Restaurant unverg ESS lich ein. Franken geht fremd, hieß dort das gastronomische Konzept. Es versprach Köstlichkeiten aus aller Welt, die gekonnt mit frischen Produkten aus der Region zu der hauseigenen Affaire Culinaire kombiniert wurden.
»Sag mal, Theo«, fragte Sophie, nachdem sie sich für Kalbsleber-Mangold-Saltimbocca auf weißem Zwiebelconfit, grüne Bohnen und Pecorino entschieden und ihre Bestellung an die herzliche Bedienung weitergegeben hatte, »wie lange stehst du eigentlich jeden Tag im Bad, um deinen Bart so hinzubekommen? Das muss doch der blanke Horror sein.«
»Lass einem Mann seine Geheimnisse«, lachte Winter, fügte dann aber doch sichtlich geschmeichelt hinzu: »Ich habe morgens nie länger gebraucht als meine Exfrau.«
»Verknautschst du dir den denn nachts beim Schlafen nicht immer?«
»Man schläft natürlich mit einer Bartbinde.«
»Wirklich?« Sophie sah ihn fassungslos an. »Hast du schon mal an einem Bartwettbewerb teilgenommen?«
»Klar. 2010 habe ich bei der Bart- EM in Leogang in Österreich den ersten Platz in der Kategorie Schnauzbart Dalí belegt. Allerdings war ich da noch ein wenig besser in Form. Seither sind mir ein paar Haare abgebrochen, sodass ich ihn extrem zurückschneiden musste. Aber zumindest habe ich es nicht so schwer wie zum Beispiel die Kollegen, die einen Schnauzbart Englisch tragen.«
»Wieso?«
»Bei einem englischen werden die Barthaare von der Oberlippenmitte nach außen gezogen. Meiner wächst nur an den Enden in die Länge, das Mittelstück halte ich sehr kurz. Das ist der Vorteil, denn unter der Nase wachsen die Haare langsamer als an den Enden; höchstens eins Komma zwei Zentimeter im Monat.«
»Sag jetzt nicht, dass du deine Bartlänge misst!«
»Natürlich. Einmal pro Woche.« Winter legte den Kopf schief. »Es ist quasi Tradition in meiner Familie. Sowohl mein Großvater als auch mein Urgroßvater hatten noch einen richtigen Kaiser-Wilhelm-Bart, wie ihn Wilhelm I. trug: Ein gezwirbelter Oberlippenbart, der in einen Backenbart überging, bei dem jedoch Kinn und Wangen vollständig ausrasiert wurden. Mein Vater hatte dann schon nur noch einen Zwirbelbart wie Kaiser Wilhelm II . Also lediglich einen Schnauzer, aber der war so voll und buschig und so lang gewachsen, dass er ihn in einen richtigen Kreis zwirbeln konnte. Von allen dreien gibt es übrigens Bilder, auf denen sie in einer Pickelhaube posieren. Sie sahen genauso aus, wie man sich einen königlich bayerischen Landgendarm vorstellt – auch wenn mein Vater natürlich keine Pickelhaube mehr getragen hat.«
»Waren alle deine Vorfahren Polizeibeamte?« Vor lauter Faszination hatte Sophie überhaupt nicht die Bedienung bemerkt, die in der Zwischenzeit die Vorspeise gebracht hatte. Doch nun stieg ihr der Duft der gebratenen Süßwassergarnelen auf ihrem Sommersalat in die Nase.
»Ja«, sagte Winter, während er zum Löffel griff, um seine Forellenschaumsuppe zu genießen. »Wenn ihr mal nach Ingolstadt kommt, dann macht einen Abstecher ins Bayerische Polizeimuseum, das ist im Turm Triva untergebracht. Dort findet ihr alle Highlights rund um die Bayerische Polizei in den vergangenen hundert Jahren: Angefangen von den Zeiten der bayerischen Revolution 1918 über die Olympiade 1972 in München bis hin zu Wackersdorf. Thematisch werden von der
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